Jesus von Nazareth
Die zentrale Figur des christlichen Glaubens ist Jesus von Nazareth. Das Neue Testament beschreibt ihn als den Sohn Gottes und erzählt von seinen wundersamen Taten und Gleichnissen.
In der Bibel findet man vier verschiedene Versionen des Lebens und Wirkens Jesu.
Dabei ging es den vier Evangelisten Markus, Matthäus, Lukas und Johannes weniger um Privates wie seine Familie, Freundschaften, Liebesbeziehungen, seine Kindheit oder seine Jugend. Vielmehr berichten sie vor allem über seine Zeit als Prediger, über seine religiöse Botschaft und die Wunder, die er vollbracht haben soll.
Obwohl die vier Evangelien im Neuen Testament nur teilweise übereinstimmen und bisweilen sehr lückenhaft sind, bilden sie bis heute das Fundament des christlichen Glaubens.
Aufgewachsen ist Jesus vermutlich in Nazareth. Deshalb nennt man ihn auch „Jesus von Nazareth“. Nazareth liegt heute im Staat Israel.
Jesus hat einen größeren Einfluss auf die Welt gehabt als jede andere Person in der Geschichte. Er regte Mitgefühl und Fürsorge für Bedürftige und Kranke an und gab den Anstoß zur Gründung von Universitäten und Krankenhäusern.
Bewusstseinsstufen
Die Idee, dass sich die menschlichen Fähigkeiten stufenweise entwickeln, ist für Christen nichts Neues. So etwas erzählt Jesus schon in seinem Gleichnis über den Sämann. Dort ist von mindestens vier verschiedenen Weisen die Rede, wie Wirklichkeit empfangen werden kann.
Ja, es gibt in der Tat Stationen und Stufen der menschlichen Reife, und sie hat eine Richtung!
Ken Wilber hat einmal klug bemerkt, dass wir alle elitär starten, aber egalitär landen. Dort allein, in der egalitären Verbundenheit mit allem, sind menschliche Gemeinschaft, Zusammenhalt, Weisheit und Mitgefühl möglich. Das ist die normale und natürliche Richtung menschlichen Wachstums.
Stufen – die Grundkonstruktionen unseres Bewusstseins
Für das Hervortreten einer neuen Bewusstseinsstufe gibt es immer Gründe. Sie wird nötig, wenn die bisherige komplexeste Stufe die Probleme der aktuellen Lebensbedingungen nicht mehr befriedigend lösen kann, oder wenn völlig andere Lebensbedingungen eintreten.
Jede Stufe ist auch eine Station Ihres Lebens, auf deren Wertvorstellungen Sie eine Zeit lang verweilen, die Sie dann aber auch wieder verlassen.
In Gott 9.0 greifen die Autoren Marion Küstenmacher, Tilmann Haberer und Werner Tiki Küstenmacher die integrale Theorie auf und wenden sie auf die christliche Spiritualität und die damit einhergehenden Jesus- und Gottesvorstellungen an.
1.0 – Gott als Mutterbrust, große Hand. Jesus als Säugling, nackt am Kreuz.
2.0 – Stammesgötter, Geister, Dämonen, Ahnenkult. Jesus als Wundertäter und Heiler.
3.0 – Kriegsgott Jahwe. Jesus als Kämpfer gegen den Satan.
4.0 – Gott als allmächtiger Schöpfer und Richter. Jesus als Retter, Weltenrichter und Sühneopfer.
5.0 – Verlorener oder toter Gott, verborgener Gott, persönlicher Gott, apersonaler Gott. Jesus als provozierender Kritiker und Vorbild.
6.0 – Gott als Liebe. Gott aller Religionen. Jesus als Lehrer der Liebe.
7.0 – Gott als der dreieinige. Jesus als wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich. Jesus als Mystiker.
8.0 – Gott als Geist/Bewusstsein. Kosmischer Jesus.
9.0 – Jesus als Schauplatz der inneren Transformation.
Jesus 1.0
Wir sind etwas von Anfang an.
Vollende deine Geburt! Das ist der Aufgabe des Lebens. [Willigis Jäger]
In einer Krippe, nackt und bloß kommt Gott als Mensch zur Welt, als hilfloser Säugling, auf normalem Weg von einer Frau geboren.
Mit der Erkenntnis der Bewusstseinsstufen lässt sich die Absicht dieser Darstellung gut verstehen: Der Retter der Welt kommt nicht von oben, sondern von ganz unten.
Mit dem Geborensein eines jeden Menschen entsteht eine ureigene Weise, Bewusstsein zu verkörpern.
Wenn wie bei Demenzkranken das Bewusstsein verschwunden ist und nur noch der Körper seufzen kann, bleibt 1.0 trotzdem ein Raum, in dem Jesus 1.0 erfahren werden kann.
Jesus 1.0 identifiziert sich mit der Existenz an sich und stillt den Hunger nach höherer Bewusstwerdung, ohne die Bedürfnisse des Körpers und seine Würde zu vernachlässigen.
Jesus 2.0
Du großes Geheimnis,
dessen Stimme ich in den Winden vernehme,
dessen Atem der Welt Leben gibt,
höre mich! [Überlieferung der Sioux]
Jesus 2.0 verwandelt Wasser in Wein, zaubert aus fünf Broten und zwei Fischen Nahrung für tausend Menschen, geht über dem Wasser, heilt Blinde und Gelähmte.
Niemals macht Jesus den Menschen Angst. Niemals benutzt er seine Macht über die Geister, um Macht über Menschen auszuüben. Er will im Gegenteil, dass Menschen ohne Angst glauben und vertrauen.
Jesus 3.0
Wer mir etwas sagen will, muss stärker sein als ich. [Walter Rathenau]
Wer durch sein Familiensystem in Abhängigkeit und Angst, Geschwisterhass und Erbstreitigkeiten, emotionalen und sexuellen Missbrauch, Gewalt und Inzest verstrickt ist, der kann es nur als Befreiung empfinden, wenn durch eine klare Trennung den bislang unentrinnbaren Familienbanden mutig der Kampf angesagt wird.
Der konfrontative Jesus 3.0, der gleichzeitig neue heilsame Beziehungsmöglichkeiten anbietet, ist stärker als alle familiären Verstrickungen.
Jesus nutzt das 3.0 Charisma der Unerschrockenheit, um in bester prophetischer Tradition aufzutreten gegen korrupte Machtinteressen. Jesus klagt leidenschaftlich an und kritisiert unerträgliche bestehende Verhältnisse. Das musste er mit dem Tod bezahlen wie andere Widerstandskämpfer auch.
Jesus 3.0 ist weniger der gute Hirte, der seine Schafe weidet. Im Rückblick auf das alttestamentliche Buch Micha wird er eher verstanden als der Vorkämpfer und Durchbrecher, der als mutiges Leittier seine in qualvoll enge Hürden eingepferchte Herde in die Freiheit führt.
Jesus 4.0
Das Gesetzt ist der Freund des Schwachen. [Friedrich Schiller]
Jesus 4.0 ist der Sündenbock, der von sich aus als sanftes Opferlamm die Schuld der Welt trägt, auf der Seite der Opfer steht und niemanden verfolgt.
In der gehorsamen Nachfolge Jesu entwickeln viele Christen der Stufe 4.0 eine hohe, lebenslange Opferbereitschaft und nehmen „ihr Kreuz auf sich“. In bewunderungswürdiger Weise geben sie selbst ihr Leben hin für andere, widmen sich dem hingebungsvollen Dienst und der treuen Pflege von leidenden Menschen. Mutter Teresa ist ein gutes Beispiel für einen Menschen mit Bewusstsein 4.0, der den unbedingten Gehorsam gegenüber Gott in einen barmherzigen Dienst der Christusliebe verwandelt.
Jesus 4.0 sitzt bei Gericht auf dem Thron zur Rechten des Vaters, der zugleich der Richterstuhl ist. Er scheidet die Spreu vom Weizen. Selbstverständlich wird dieser Jesus 4.0 alle retten, die von schlechtem Lebenswandel umgekehrt sind und dem wahren, einen Glauben anhängen. Nur eine Minderheit wird diesen Ausleseprozess überstehen: „Viele sind berufen, aber nur wenige sind auserwählt“.
Jesus 5.0
Der Atheismus ist eine Form der Religion, vielleicht sogar der echten. [Hans F. Geyer]
Entschlossen trat Jesus 5.0 ein für seine Meinung, vermittelte Zuversicht und lebte selbstbestimmt als einer, der sein Leben selbst in die Hand nehmen konnte, ohne von seinen Eltern oder irgendeiner Autorität emotional abhängig zu sein. Jesus konnte sich auf sein eigenes Urteil und auf seine mystische Intuition verlassen.
Jesus verstieß immer wieder bewusst gegen die Regeln von 4.0, sobald man sie allzu buchstäblich verstanden, ohne Rücksicht auf konkrete menschliche Situationen ausgelegt und damit als Herrschaftsinstrumente missbraucht wurden. So wurde er zu einer 5.0 Provokation für 4.0 Machtdenken, das seine Territorien verteidigen will und andere Meinungen nicht gelten lassen will. Vor allem aber lehnte Jesus alle übertriebenen 4.0 Sündenbockmechanismen und Schuldzuweisungen ab. Mit denen Menschen ausgegrenzt wurden.
Viele aufgeklärte Menschen auf der Bewusstseinsstufe 5.0 sind beeindruckt von diesem menschlichen Jesus, dem Menschen schlechthin. Jesus wird zum exemplarischen Menschen, der zur Selbstbegegnung, Selbstreflexion, Selbstverantwortung und Selbstbestimmung einlädt. Der „Mann Jesus“ verkörpert den integrierten, freien und erwachsenen Einzelnen.
Jesus 6.0
Dialog ist die neue Art, Kirche zu sein. [Papst Paul VI]
6.0 verbindet den Dienst am leidenden Menschen mit einer grandiosen Bereitschaft, ein liebevoller und mitfühlender Zuhörer zu sein.
Jesus war prozessorientiert. Er lehrte andere und lernte selbst dabei durch sie hindurch.
Er ist der verwundete Heiler, der sich einfühlen kann in alle menschlichen Probleme. Weil er selbst leiden musste, kann Jesus Leidende verstehen ohne anderen Leid zugefügt zu haben.
Jesus lebte bedingungslose Liebe – wonach sich 6.0 sehnt – und musste dafür als Unschuldiger mit dem Leben bezahlen.
Jesus 6.0 gewährt und erlaubt viel Nähe, Berührung, ja Intimität. Zärtlichkeit, Sinnlichkeit, Heilung und Nächstenliebe gehören bei Jesus untrennbar zusammen. In ihm haben sich die weiblichen und die männlichen Persönlichkeitsanteile „befreundet und versöhnt“.
Jesus 7.0
Ich suche nicht, ich finde. Finden ist das völlig Neue. [Pablo Picasso]
Jeder Paradigmenwechsel strengt an. Bis er gänzlich vollzogen ist, erlebt man sich oder seine soziale Umgebung als ungehalten im wahrsten Sinn des Wortes. Die verschiedenen Bewusstseinsstufen reiben sich aneinander wie Kontinentalplatten. Niemand möchte von ihnen zerdrückt werden. 7.0 nimmt die Entwicklung der Bewusstseinsstufen wahr als ein überaus instabiles Gemisch.
Indem Jesus 7.0 Menschen aus ihren alten Ordnungen, Lebensmustern und Denkweisen herausrief („Folget mir nach!“), sorgte er für Stabilität durch Instabilität. Jesus erzeugte heilsame Unruhe, zeigte Entscheidungsmöglichkeiten, warb für mutige Schritte nach vorn und lehnte das Einigeln auf einer Stufe oder eine nostalgische Abwärtsbewegung ab.
Er bevorzugte 7.0 anmutende minimalistische Strukturen, spontane Interaktion, eine schlichte, aber aufs Konkrete zielende Sprache und einen einfachen Lebensstil.
Er surfte gleichsam wie ein Wellenreiter auf den spirituellen Möglichkeiten, die das „gestaltträchtige Chaos“ in jedem Augenblick erzeugt, ganz im Vertrauen darauf, dass die chaotischen Strömungsmuster des Lebens in Wirklichkeit auf nichts hinauslaufen als die Liebe.
Der spirituell emanzipierte Mensch der transrationalen Stufen kann „aus eigenen Kräften sein spirituelles Wachstum erkennen im Sinne der Wahrheit“. Das geht nur, wenn er Jesus Einsamkeit und Leiden an der Wirklichkeit ebenso entschieden annimmt, wie er Jesus durch schöpferisches Tun und freimütiges Geben nachahmt. In beidem erlebt er schöpferische Transformation und die Metamorphose seines Bewusstseins.
Von 7.0 aus kann man das Christusbewusstsein als schwingende Achse der gesamten Stufenspirale begreifen, als Entwicklungsspitze dieser „Spindel“, die den Raum für weiteres spirituelles Wachstum im Lauf der Evolutionsgeschichte erschafft.
7.0 als das um eine Oktave erhöhte 1.0 ist auf eine neue Weise anspruchslos. Es braucht aber, wie damals das gerade erwachte menschliche 1.0 Bewusstsein, die Gewissheit, versorgt und getragen zu sein – auf eine möglichst reduzierte, archaische Weise.
Jesus 8.0
Jede Zeit sah einen anderen Jesus. Aber seltsam: Dabei verbrauchte er sich nicht. Das man Jesus in so vielen Bildern gespiegelt sehen kann ist für mich heute ein Zeichen seiner universellen Wichtigkeit. [Jörg Zink]
Dank 8.0 wird die Fähigkeit ansteigen, den eigenen Körper als geistig-spirituelles Wahrnehmungsinstrument und lernendes System zu gebrauchen, das interessiert ist an maximaler Kommunikation mit allem Lebendigen.
Auf dieser Stufe erfährt man durch scharfe Selbstbeobachtung, dass alle Erkenntnis immer nur ein Konstrukt darstellt.
8.0 sucht nach dem Punkt, an dem sein Ich endgültig zugunsten des Selbst abtritt. Wenn es 8.0 gelingt, das ständig konstruierende Ich loszulassen (etwa durch Mediation), kann es hinter den Vorhang der Konzeptionen gelangen. Hier erfährt 8.0 eine neue Freiheit, ein Mit-sich-und-der-Welt-im-Fluss-sein und einfaches Gegenwärtigsein in höchster Wachheit.
8.0 berücksichtigt die unabhängige Individualisierung von 7.0 aber lädt zu einem neuen, globalen Gemeinschaftssinn ein.
„Suche einen Raum der Stille, und lass dein inneres Wissen entstehen“.
Gott ist auf der Stufe 8.0 pures Bewusstsein oder Geist. Der „Spirit“, der allem zugrunde liegt und alles in allem ist.
Das kosmische Bewusstsein von 8.0
Das kosmische Bewusstsein von 8.0 stellt sich die Frage nach der Verbundenheit und Bezogenheit aller Erscheinungen im Universum.
Es gibt nicht nur ein äußeres Universum, das Mathematik, Chemie, Physik oder Biologie beschreiben können. Es gibt auch ein inneres Universum von subjektivem Bewusstsein und intersubjektiver Kultur, in dem wir wohnen. In jedem Aspekt oder Element des Universums steckt ein Stück Bewusstsein, es bildet gleichsam den Urstoff der Schöpfung.
Jede individuelle Biographie ist zugleich ein planetarisches Geschehen. Jeder Mensch ist ein kosmisches Ereignis, hinter dem die großartige, überwältigende Bewegung des unermesslichen Universums steht.
Die Welt erlebt einen „Sturz in die wachsende Einheit“ und wird sich bewusst, dass die Liebe das Ziel des Universums ist: „Mit den Kräften der Liebe suchen die Fragmente der Welt einander, auf dass die Welt sich vollende“.
Laut Ken Wilber könnte in 8.0 Jesus als eine Verkörperung des transzendentalen, unendlichen selbstlosen Selbst betrachtet werden. Er erscheint dann als ein radikal alles umfassendes Bewusstsein von Licht, Liebe und Leben, das auf den Tod des lieblosen, selbstbezogenen Egos hin aus dem Strom der Zeit erlöst wird.
Der kosmische Christus ist das Prinzip des maximalen Zusammenhalts aller widersprüchlichen, paradoxen, schmerzlich gegeneinanderstehenden Erfahrungen im Universum durch gewaltlose, frei sich verschenkende Liebe.
Jesus 9.0
Jesus 9.0 ist Vorreiter für eine neue Entwicklung. Er geht den ersten Schritt in eine neue Richtung, setzt neue Impulse. Er trägt entscheidend dazu bei, Neues Bewusstsein auf der Erde zu manifestieren.
Durch das Fühlen, das Beschäftigen und Durchleben scheinbar persönlicher Themen transformiert 9.0 das alte Bewusstsein.
9.0 ist der innere Schauplatz an dem die Transformation geschieht.
Die Absichten von Jesus 9.0 sind grundsätzlich auf Liebe, Freiheit und Hingabe ausgerichtet. 9.0 stellt die Verwirklichung des integrierten, frei wirkenden menschlichen Wesens dar.