#26Tage26Impulse

Die ideologischen Achsen des 19. Und 20. Jahrhunderts lösen sich seit 1990 immer weiter auf. Haben „Linke versus Rechte Politik“ lange Zeit Orientierung gegeben, brauchen wir für das 21. Jahrhundert neue Landkarten mit anderen Koordinaten. Im Folgenden biete ich verschiedene Perspektiven an:

Die Hauptachse des politischen Konflikts liegt heute nicht mehr primär zwischen „Links“ und „Rechts“, sondern zwischen „Offen“ und „Geschlossen“. Linke Politik reagiert auf Probleme eher, indem sie staatliche Leistungen ausweitet, während Rechte Politik dazu neigt, auf gleiche Probleme zu reagieren, indem sie individuelle Initiative fördert – kurz gesagt: mehr Staat versus mehr Markt. „Geschlossen“ bedeutet eine Denkweise, die Angst, Hass und Ignoranz verstärkt. „Offen“ bedeutet ein Bewusstsein für die Qualität zu haben, wie wir uns verbinden, eine Verschiebung von mir zu wir. Wir beginnen eine Situation nicht nur aus unserer eigenen Sicht zu sehen, sondern auch aus der Sicht aller anderen Akteure und Akteurinnen in unserem Ökosystem. Siehe hierzu Abbildung 1. (Presencing Institute, Otto Scharmer)

Abbildung 1

„Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen“, besagt ein altes Sprichwort aus China.

Momentan wächst das Bewusstsein, dass die Klimakrise unmittelbare Folge einer Ideologie ist, die es als Hauptaufgabe sieht, den ökologischen Motor am Laufen zu halten, um das materielle Wohlstandsniveau im eigenen Land so hoch wie möglich zu halten – ein Nationalmaterialismus. Als Alternative kristallisiert sich eine Weltanschauung heraus, die das systemische Wohlergehen im Blick hat; also eine Politik, die den globalen ökologischen und sozialen Bedarf als gleichrangig mit dem Ziel des ganzheitlich gedachten nationalen Wohlstands versteht. In einer ideologischen Matrix des 21. Jahrhunderts, mit den beiden Achsen Geschlossen/Offen und Nationalmaterialistisch/Systemisches Wohlergehen fällt auf, dass die Partien im Links-Rechs-Spektrum (Linke, Union, SPD und FDP) auffallend nah beieinander sind.

Eine weitere Dimension der ideologischen Landkarte des 21. Jahrhunderts ist die Unterscheidung zwischen transformativ und inkrementell. Inkrementelle Politik setzt Verbesserungen schrittweise um, innerhalb des bestehenden wirtschaftlichen und politischen Rahmens. Wenn der Rahmen selbst verändert werden muss, sprechen wir von transformativer Politik. („Liebeserklärung an eine Partei…“, Hanno Burmester/ Clemens Holtmann)

Ich möchte hier auf gar keinen Fall eine Wahlempfehlung für irgendeine Partei geben. Aus meiner Sicht bewegen sich alle etablierten Parteien, einschließlich der Grünen, im inkrementellen Modus, ohne die Rahmenbedingen zu verändern. Es braucht wohl eher einen Neuanfang mit entsprechender Weite und Tiefe.

Die politischen Grundorientierungen aus einer AQAL integralen Sicht lassen sich auch in liberal, sozial und systemisch beschreiben. Die politische Bewegung, die sich für das Individuum einsetzt, ist das Liberale. Die Konzentration auf das Individuum beinhaltet Aspekte wie individuelle Rechte oder innere und äußere Freiheit. Die politische Richtung, welche das Streben des Individuums nach Zusammen(-sein, -halt) und Miteinandersein verfolgt, nennen wir sozial. Die Aspekte von Gerechtigkeit, Gleichheit und solidarische Pflichten spielen hier eine wichtige Rolle. Die systemische Grundorientierung beinhaltet Nachhaltigkeit, Funktionalität, Versorgungssysteme und systemische Pflichten. Siehe Abbildung 2.

Abbildung 2 – Grundorientierungen der AQAL integralen Politik

In der politischen Praxis kommt es zu Spannungen zwischen diesen Grundorientierungen: Individuelle Interessen versus Öffentliche und Allgemeines Interesse versus Systemische Gegebenheiten/Notwendigkeiten/Möglichkeiten. Zum Beispiel die Interessenkonflikte zwischen dem Schutz der Privatsphäre und dem öffentlichen Interesse. Eine falsche Anwendung der Grundperspektiven führt zu problematischen Absolutismen: zu Liberalismus (Individualismus), Sozialismus (Kollektivismus) oder Systemismus („Funktiokratie“ mit alternativlosen Sachzwängen).

Das Ziel einer integrierten Politik wäre die Integration der Hauptperspektiven der politischen Orientierung: Individuelle Freiheit und Soziale Gerechtigkeit und Systemische Nachhaltigkeit.

Es bleibt nun in der Betrachtung der Wählerinnen und Wähler am 26. September, welche Personen und welche Parteien die verschiedenen Perspektiven für eine Politik des 21. Jahrhunderts am besten erfassen und entsprechend mutig handeln. Die existenziellen Herausforderungen erfordern, aus meiner Sicht, eine offene – mutige – evolutionäre Politik, die die Würde der drei Orientierungen anerkennt und die Absolutismen vermeidet.

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