Integrales Bewusstsein – Das Paradigma der neuen Physik

Das Paradigma der neuen Physik

Am Anfang der neuen Physik stand die außergewöhnliche intellektuelle Großtat eines Mannes – Albert Einstein. In zwei Arbeiten, beide 1905 veröffentlicht, begründete Einstein zwei revolutionäre Denkrichtungen. Die eine war seine Spezielle Relativitätstheorie, die andere eine neue Betrachtungsweise der elektromagnetischen Strahlung, die charakteristisch für die Quantentheorie, die Theorie von atomaren Phänomenen, werden sollte.

Die andere wesentliche Entwicklung in der Physik des 20. Jahrhunderts ergab sich aus der experimentellen Erforschung der Atome. Um die Jahrhundertwende entdeckten Physiker mehrere mit der Struktur der Atome zusammenhängende Phänomene, beispielsweise Röntgenstrahlen und Radioaktivität, die mit den Begriffen der klassischen Physik nicht erklärt werden konnten.

Diese Erforschung der atomaren und subatomaren Welt brachte die Wissenschaftler in Kontakt mit einer fremdartigen und unerwarteten Wirklichkeit, welche die Grundlagen ihrer Weltanschauung zum Einsturz brachte und sie zwang, ihr Denken ganz neu auszurichten.

Die Quantentheorie oder Quantenmechanik, wie sie auch genannt wird, wurde während der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts von einer internationalen Gruppe von Physikern formuliert, zu der Max Planck, Albert Einstein, Niels Bohr, Louis de Broglie, Erwin Schrödinger, Wolfgang Pauli, Werner Heisenberg und Paul Dirac gehörten.

Die Auswirkungen der Quantentheorie auf die Vorstellungen der Physiker von der Wirklichkeit waren geradezu erschütternd. Die neue Physik erforderte tiefgreifende Änderungen von Grundbegriffen wie Raum, Zeit, Materie, Gegenstand, Ursache und Wirkung. Und da diese Vorstellungen von so fundamentaler Bedeutung für die Art und Weise sind, auf die wir die Welt erfahren, bedeutete ihre Umgestaltung einen großen Schock. Um Heisenberg zu zitieren: „Diese heftige Reaktion auf die jüngste Entwicklung der modernen Physik kann man nur verstehen, wenn man erkennt, dass hier die Fundamente der Physik und vielleicht der Naturwissenschaft überhaupt in Bewegung geraten waren und dass diese Bewegung ein Gefühl hervorgerufen hat, als würde mir der Boden, auf dem die Wissenschaft steht, unter den Füßen weggezogen.“

Einstein erfuhr denselben Schock, als er zum ersten Mal mit der neuen Wirklichkeit der Atomphysik in Berührung kam. Er beschrieb seine Gefühle mit Ausdrücken, die denen von Heisenberg sehr nahekamen: „Alle meine Versuche, die theoretischen Grundlagen der neuen Physik dieser neuen Art von Wissen anzupassen, haben völlig versagt. Es war, als ob mir der Boden unter den Füßen weggezogen würde, mit keinem festen Fundament irgendwo in Sicht, auf dem man hätte bauen können.“ Aus dieser revolutionären Wandlung unserer Vorstellung von der Wirklichkeit, die von der neuen Physik in Gang gebracht wurde, geht heutzutage eine in sich stimmige Weltanschauung hervor.

Die experimentelle Erforschung der Atome zu Beginn des 20. Jahrhunderts brachte sensationelle und völlig unerwartete Ergebnisse. Die Atome waren keinesfalls die harten und festen Teilchen, für die man sie immer gehalten hatte, sondern erwiesen sich als weiter Raum, in dem sich extrem kleine Teilchen – die Elektronen – um den Kern bewegen. Einige Jahre später machte die Quantentheorie deutlich, dass selbst die subatomaren Teilchen – die Elektronen sowie die Protonen und Neutronen innerhalb des Kerns – keine Festkörper im Sinne der klassischen Physik sind. Die subatomaren Einheiten der Materie sind sehr abstrakte Gebilde mit einer doppelten Natur. Je nachdem wir sie ansehen, erscheinen sie manchmal als Teilchen, manchmal als Wellen. Diese Doppelnatur zeigt auch das Licht, das als elektromagnetische Schwingung oder als Teilchen auftreten kann.

Es scheint unmöglich, den Gedanken zu akzeptieren, dass etwas gleichzeitig ein Teilchen sein kann, also eine auf ein sehr kleines Volumen begrenzte Einheit, und eine Welle, die sich über einen weiten Raum erstreckt. Und doch mussten die Physiker genau das akzeptieren. Die Situation schien hoffnungslos paradox, bis man erkannte, dass die Ausdrücke „Teilchen“ und „Welle“ sich auf klassische Vorstellungen beziehen, die nicht völlig ausreichen, um atomare Erscheinungen zu beschreiben.

Zum besseren Verständnis dieser Beziehungen zwischen Paaren klassischer Vorstellungen führte Niels Bohr den Begriff der Komplementarität ein. Für ihn waren das Teilchenbild und das Wellenbild zwei sich ergänzende Beschreibungen derselben Wirklichkeit, von denen jede nur teilweise richtig war und eine beschränkte Anwendungsmöglichkeit hatte. Die moderne Idee der Komplementarität ist eindeutig schon im alten chinesischen Denken vorhanden, eine Tatsache, die Niels Bohr tief beeindruckte.

Beim Eindringen in die Materie finden wir keine isolierten Grundbausteine, sondern vielmehr ein kompliziertes Gewebe von Beziehungen zwischen den verschiedenen Teilen eines einheitlichen Ganzen. Heisenberg drückte das so aus: „So erscheint die Welt als kompliziertes Gewebe von Vorgängen, in dem sehr verschiedenartige Verknüpfungen sich abwechseln, sich überschneiden und zusammenwirken und auf diese Art und in dieser Weise schließlich die Struktur des ganzen Gewebes bestimmen.“ Die subatomaren Teilchen – und somit letztlich alle Teile des Universums – können nicht als isolierte Einheiten verstanden werden, sondern lassen sich nur durch ihre Wechselbeziehungen definieren.

Jedes Ereignis wird vom gesamten Universum beeinflusst, und obwohl wir diesen Einfluss nicht in Einzelheiten beschreiben können, erkennen wir doch eine Ordnung, die in statistischen Gesetzen ausgedrückt werden kann.

Während in der klassischen Mechanik die Eigenschaften und das Verhalten der Teile das Ganze bestimmen, ist die Lage in der Quantenmechanik umgekehrt: es ist das Ganze, das das Verhalten der Teile bestimmt. In der Atomphysik kann man das beobachtete Phänomen nur als Korrelation zwischen verschiedenen Vorgängen der Beobachtung und Messung verstehen, wobei das Ende dieser Kette von Vorgängen stets im Bewusstsein des menschlichen Beobachters liegt.

Werner Heisenberg in Urfeld am Walchensee in Bayern

In der Atomphysik kann die scharfe Unterscheidung zwischen Geist und Materie, zwischen dem Beobachter und dem Beobachteten, nicht länger aufrechterhalten werden. Wir können niemals von der Natur sprechen, ohne gleichzeitig von uns zu sprechen. Die von den Wissenschaftlern in der Natur beobachteten Strukturen sind aufs engste mit den Strukturen ihres Bewusstseins verbunden, mit ihren Vorstellungen, Gedanken und Werten. Auf diese Weise werden die von ihnen erzielten wissenschaftlichen Ergebnisse und die von ihnen erforschten technologischen Anwendungen durch ihren Bewusstseinszustand konditioniert. Deshalb sind Wissenschaftler nicht nur intellektuell, sondern auch moralisch für ihre Forschungsarbeit verantwortlich. Sie können uns – einmal extrem ausgedrückt – zu Buddha oder zur Bombe führen.

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