Die Würde der Arbeit:
Ein moralisches Thema jenseits von Politik und Parteien
In einer Zeit, in der viele Krisen die Gesellschaft spalten und die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft, stellt sich die Frage nach der Würde der Arbeit mehr denn je. Doch es geht hierbei nicht nur um Politik und Parteien. Es geht um ein moralisches Thema, das uns alle betrifft. Denn trotz aller Bemühungen um Chancengleichheit reicht dies nicht aus, um die Gleichheit der Voraussetzungen zu garantieren. Eine erneuerte Diskussion über die Würde der Arbeit kann uns aus der polarisierten Politik herausführen und uns dazu bringen, gemeinsam für das Gemeinwohl einzustehen. Denn letztendlich bedeutet Demokratie mehr als nur Abstimmung – es geht um die Würde und das Wohlergehen jedes Einzelnen in unserer Gesellschaft. In diesem Artikel werden wir uns daher mit der Bedeutung der Würde der Arbeit auseinandersetzen und wie wir uns gemeinsam für eine gerechtere Gesellschaft einsetzen können.
Die Krise der Mittelklasse:
Wie die Globalisierung die Gesellschaft spaltet
Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die 1970er war es für Menschen ohne Hochschulabschluss möglich, eine gute Arbeit zu finden und ein bequemes Leben in der Mittelklasse zu führen. Das ist heute viel schwieriger geworden. Die Globalisierung hat diejenigen mit akademischem Abschluss zwar reiche Belohnungen gebracht, aber den meisten normalen Arbeitern nichts. Obwohl die Produktivität gestiegen ist, haben die Arbeiter einen immer kleineren Anteil dessen erhalten, was sie produzieren, während Führungskräfte und Aktionäre einen immer größeren Anteil davon beanspruchten.
Dass die Arbeiter damit unzufrieden sind, ist keine Überraschung. Arbeit hat nicht nur mit Wirtschaft, sondern auch mit Kultur zu tun, da sie eine Quelle sozialer Anerkennung und Wertschätzung ist. Die damit einhergehende Ungleichheit durch die Globalisierung löst daher viel Zorn und Groll aus. Diejenigen, die von der Globalisierung zurückgelassen wurden, hatten nicht nur zu kämpfen, sondern spürten auch, dass ihnen ihre Arbeit keine soziale Wertschätzung mehr einbrachte. Deshalb haben zum Beispiel in den USA Männer der Arbeiterklasse ohne akademischen Abschluss mehrheitlich für Donald Trump gestimmt.
Diejenigen, die als „Rechte“ bezeichnet werden, glauben, dass die Würde der Arbeit durch die Kürzung von Sozialleistungen gewahrt wird. Dies soll faulen Menschen erschweren, vom Staat abhängig zu sein. Diejenigen, die als „Linke“ bezeichnet werden, setzen sich für ein stärkeres Sicherheitsnetz und eine höhere Kaufkraft ein. Ein höherer Mindestlohn, Elternzeit und Kinderbetreuung können dazu beitragen. Die „Linken“ streben eine gerechtere Einkommens- und Vermögensverteilung an, um das Wohlbefinden der Gesellschaft insgesamt zu steigern, nicht nur das Bruttoinlandsprodukt (BIP).
Wie eine erneute Diskussion über die Würde der Arbeit uns aus der polarisierten Politik führt
Oren Cass, politischer Berater des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney, glaubt, dass die Erneuerung der Arbeit in Amerika erfordert, dass die Republikaner ihre Unterstützung für die freie Marktwirtschaft aufgeben. Anstatt auf Steuersenkungen für Unternehmen und ungezügelten Freihandel zu setzen, sollten sich die Republikaner auf eine Politik konzentrieren, die Arbeitnehmern hilft, Jobs zu finden, die ausreichend bezahlt werden, um starke Familien und Gemeinden zu unterstützen. Cass argumentiert, dass dies für eine gute Gesellschaft wichtiger ist als Wirtschaftswachstum.
In marktgetriebenen Gesellschaften besteht oft die Tendenz, materiellen Erfolg als moralisch verdienstvoll anzusehen. Wir müssen dieser Tendenz widerstehen, indem wir Maßnahmen ergreifen, um gezielt und demokratisch darüber nachzudenken, was wirklich einen wertvollen Beitrag zum Gemeinwohl darstellt und wo die Marktmechanismen versagen.
Eine erneute Diskussion über die Würde der Arbeit würde den öffentlichen Diskurs moralisch beleben und uns über die polarisierte Politik hinausführen. Diese wurde durch vier Jahrzehnte des Marktglaubens und der meritokratischen Überheblichkeit geprägt. Eine Alternative zur Chancengleichheit ist eine Gleichheit der Voraussetzungen. Diese ermöglicht es allen, unabhängig von ihrer Stellung oder ihrem Vermögen, ein anständiges und würdiges Leben zu führen. Hierbei sollten sie die Möglichkeit haben, ihre Fähigkeiten in einer Tätigkeit auszuüben, die soziale Anerkennung erhält. Zudem sollte ihnen ermöglicht werden, an einer Kultur des Lernens teilzuhaben und gemeinsam mit ihren Mitbürgern über relevante Themen von öffentlichem Interesse nachzudenken.
Es ist unrealistisch zu erwarten, dass eine solche Debatte zu einer Übereinkunft führt, da das Gemeinwohl unausweichlich umstritten bleibt.
Warum Chancengleichheit nicht ausreicht: Eine Alternative zur Gleichheit der Voraussetzungen
Während der Großen Depression haben zwei Autoren eine Gleichheit der Voraussetzungen vorgestellt. Der britische Wirtschaftshistoriker R. H. Tawney betonte, dass Chancen zum Aufstieg allein keine großen Unterschiede im Einkommen und in der gesellschaftlichen Position ausgleichen können. Für das gesellschaftliche Wohlergehen sei vielmehr Zusammenhalt und Solidarität erforderlich, gepaart mit einem hohen Maß an allgemeiner Kultur und einem starken Gespür für gemeinsame Interessen. Dies erfordere nicht nur die Freiheit, in neue Positionen aufzusteigen, sondern auch die Möglichkeit, ein kultiviertes und würdiges Leben zu führen, unabhängig vom Aufstieg.
Ein anderer Autor, James Truslow Adams, beschrieb den amerikanischen Traum als eine Gesellschaftsordnung, in der jeder Mensch die vollste Entfaltung seiner Fähigkeiten erreichen kann und für das anerkannt wird, was er ist, unabhängig von Geburt und Stellung.
Gemeinsam für das Gemeinwohl:
Warum Demokratie mehr als nur Abstimmung bedeutet
In einer Welt, in der Ungleichheiten von Einkommen und Vermögen immer größer werden, haben wir die Fähigkeit verloren, gemeinsam über wichtige Fragen zu diskutieren oder einander zuzuhören. Doch ohne Zusammenarbeit und Diskussion über unsere Ziele und Werte als politische Gemeinschaft, können wir das Gemeinwohl nicht erreichen. Wir brauchen keine vollkommene Gleichheit, sondern Orte und Räume, an denen Bürger aus unterschiedlichen Lebensbereichen zusammenkommen und sich austauschen können.
Die Idee, dass jeder nur das verdient, was der Markt für diese Fähigkeiten bereitstellt, macht Solidarität zu einem unmöglichen Ziel. Warum sollten erfolgreiche Menschen denen, die weniger Glück hatten, etwas schulden? Aber wenn wir uns bewusstmachen, dass wir nicht völlig autark sind und unser Erfolg auch von glücklichen Umständen abhängt, können wir demütiger werden. Eine solche Demut kann uns von der brutalen Ethik des Erfolgs weg und zu einem großzügigeren öffentlichen Leben führen, das weniger von Leistung geprägt ist.
Die Idee der Chancengleichheit und der Gleichheit vor dem Gesetz hat dazu geführt, dass viele Menschen skeptisch gegenüber Eliten in demokratischen Systemen sind. Dennoch sind Eliten für Demokratien unerlässlich. Sie müssen sich jedoch davor schützen, von einer Öffentlichkeit vereinnahmt zu werden, da dies ihre Existenzgrundlage gefährden würde.
Eliten sollten nicht als eine exzentrische Sonderklasse betrachtet werden, sondern müssen unabhängig bleiben, um nicht durch Entscheidungen und Haltungen korrupt zu werden. In politisch ruhigen Zeiten sollten sie durch Klugheit, schnelle Auffassungsgabe, Weitsicht, Entscheidungskraft, Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein herausragen. Im Notfall müssen sie schnell handeln und den Ausnahmezustand verstehen, um eingreifen zu können.
Eliten sollten ihre Macht jedoch nicht dauerhaft ausüben, sondern nur für begrenzte Zeit, ohne Anspruch auf dauerhafte Herrschaft. Die Gesellschaft braucht selbstbewusste Bürger, aber keine selbstherrlichen Eliten.
Fazit
Die Globalisierung hat in den letzten Jahrzehnten einen tiefgreifenden Wandel in unserer Arbeitswelt und Gesellschaft ausgelöst. Die Mittelklasse, die lange Zeit als Stabilitätsanker der Gesellschaft galt, sieht sich in einer Krise. Die Einkommensungleichheit hat zugenommen. Chancengleichheit allein reicht nicht aus, um die Mittelklasse zu stärken und ihre Würde zu erhalten.
Es braucht einen erneuten Diskurs über die Würde der Arbeit und wie sie in einer globalisierten Welt gestaltet werden kann. Nur so können wir aus der polarisierten Politik herauskommen und gemeinsam für das Gemeinwohl arbeiten, denn Demokratie bedeutet mehr als nur Abstimmung. Die Mittelklasse ist ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft und es ist an der Zeit, sie zu stärken und ihre Würde zu bewahren.
Siehe auch Teil 2: Bildung in der Wissensgesellschaft: Warum Kompetenzen und Persönlichkeit wichtiger sind