Persönlichkeitsbildung in der Wissensgesellschaft:
Eine Herausforderung für Bildungseinrichtungen
In einer Wissensgesellschaft, in der Informationen leicht zugänglich sind, stellt sich die Frage, welche Fähigkeiten und Kompetenzen wirklich zählen. Eine Antwort darauf könnte in der Persönlichkeitsbildung liegen. Denn neben der reinen Wissensvermittlung geht es heute um die Entwicklung von Persönlichkeiten, die in der Lage sind, eigenverantwortlich und kreativ zu handeln. Doch wie sieht es in der Praxis aus? Leider haben viele Bildungseinrichtungen noch immer mit einer normierten Bildung zu kämpfen, die wenig Raum für Persönlichkeitsbildung lässt. In diesem Artikel werden wir uns mit dieser Herausforderung der Persönlichkeitsbildung in der Wissensgesellschaft beschäftigen und uns fragen, wie Bildung dazu befähigen kann, ein zweckfreies Wissen zu entwickeln.
Das Misstrauen gegenüber Eliten in Deutschland – ein historischer Rückblick
In Deutschland gibt es ein tiefes Misstrauen gegenüber Eliten, das historische Gründe hat. Die Weimarer Republik und der Nationalsozialismus haben das Vertrauen in Teile der Eliten erschüttert. Dieses Misstrauen wurde durch das Verhalten einiger Wirtschaftsvertreter in den neunziger Jahren erneut genährt. Der Mannesmann-Prozess und das Verhalten einiger Protagonisten verstärkten die Vorurteile der Bevölkerung. Die Äußerung von Josef Ackermann, dem Vorstandssprecher der Deutschen Bank, vor Gericht trug nicht dazu bei, das Misstrauen abzubauen. Doch in einer offenen Gesellschaft ist Elitenpluralismus, das Vorhandensein mehrerer prinzipiell gleichberechtigter Eliten ohne politischen Herrschaftsanspruch, unerlässlich. Eine Trennung zwischen politischer Macht und gesellschaftlichen Eliten ist wichtig, um den Elitenpluralismus zu gewährleisten. Plurale Eliten können in einer Gesellschaft gedeihen, solange politische Macht und gesellschaftliche Eliten getrennt bleiben.
Die normierte Bildung:
Warum Bildungszertifikate wenig mit Persönlichkeitsbildung zu tun haben
Die meisten Theorien stimmen darin überein, dass die Eliten in modernen Gesellschaften keine geschlossene gesellschaftliche Klasse sind, sondern in bestimmten gesellschaftlichen Sektoren zu finden sind. Sie dienen möglicherweise als Vorbilder, aber herrschen in der Regel nicht. Sie sollten nicht hierarchisch, sondern paritätisch organisiert sein. Der Zugang sollte transparent bleiben und prinzipiell jedem offenstehen, was zu einer sozial heterogenen Zusammensetzung der Eliten führt.
Der Diskurs über Eliten in Deutschland konzentriert sich hauptsächlich auf den Erwerb von Bildungszertifikaten, was in Zeiten der Bildungsexpansion zu einem Abfall ihres Wertes geführt hat. Die Zertifikate stehen nicht für Persönlichkeitsbildung, sondern für normiertes Wissen und werden als Kapital angesehen. Sie haben nichts mit Verstehen, Erkenntnis oder Charakterbildung zu tun.
Geschichtliche Beispiele für den Missbrauch von Eliten in politischen Systemen
Eliten haben in der Geschichte oft eine entscheidende Rolle gespielt und politische Systeme sind oft gescheitert, sobald Eliten an der Macht waren. Die Feudalherrschaft des Adels, die proletarische Revolution von Lenin mit einer Elite von Berufsrevolutionären, der Imperialismus von Mussolini mit einer Elite von machiavellistischen Machtmenschen, das Scheitern der Weimarer Demokratie aufgrund von politischen Fehleinschätzungen der Eliten in Politik, Militär und Wissenschaft, der Nationalsozialismus mit einer Elite von Führern aus eugenischer Zucht und schließlich die Elitekader der DDR sind Beispiele dafür. Aufgrund des Missbrauchs von Eliten in totalitären Systemen sollte man sich endgültig von Eliten verabschieden oder zumindest sehr vorsichtig von ihnen sprechen.
Eliten sind in vielen Bereichen wichtig für eine Demokratie. Ohne sie kann die Demokratie instabil werden und in Gefahr geraten. Andererseits können Distanz und Resignation gegenüber der Politik, wie im Osten Deutschlands, Jugendliche dazu veranlassen, extremistischen Gruppen beizutreten. Viele von ihnen glauben nicht, dass Politiker ihre Bedürfnisse verstehen oder sich für sie einsetzen.
Die Herausforderung der Persönlichkeitsbildung in der Wissensgesellschaft
Die freiheitliche Demokratie benötigt die moralische Unterstützung aller Bürger, insbesondere aber der Eliten, um dauerhaft zu bestehen. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Staates, die Zustimmung zu erzwingen, sondern die offene Gesellschaft muss ihre Verständigung selbst organisieren. Dabei ist es wichtig, freie Entscheidungen zu fördern und individuelle Lebensentwürfe zu respektieren. Die Eliten müssen transparente Entscheidungen treffen und ihre Verantwortung offenlegen, um Autorität und Macht zu erlangen. Letztendlich sind sie auf die Zustimmung der Gesellschaft angewiesen, ohne sich zu Untertanen zu machen.
Der moderne Bildungsbegriff erfordert von jedem Einzelnen Eigeninitiative, um sich umfassend zu bilden und Talente auszuschöpfen. Gerade Eliten sind auf Bildung angewiesen, aber nicht nur im Sinne des modernen Wissensmanagements, sondern auch im Sinne der Persönlichkeitsbildung, die intellektuelle Fähigkeiten übersteigt. In der modernen Wissensgesellschaft scheint die Erinnerung an die Vergangenheit verloren zu gehen, was zu einer historischen Verdummung führt und eine Bedrohung für die Demokratie darstellt, da sie anfällig für Ideologien macht. Der höhere Gelehrte bringt laut Arthur Schopenhauer die „entferntesten Enden menschlichen Wissens zusammen“, was bedeutet, dass Geister ersten Ranges nicht unbedingt Fachgelehrte sein müssen.
Wie Bildung dazu befähigt, ein zweckfreies Wissen zu entwickeln
Um Bildung im Idealfall zu erreichen, sollte sie dazu befähigen, ein zweckfreies, zusammenhängendes und von den großen Traditionen der Geistes- und Kulturgeschichte gespeistes Wissen zu entwickeln. Dieses Wissen soll nicht nur dazu dienen, einen eigenständigen Charakter zu formen, sondern auch frei zu machen von den Diktaten der Denkmoden. Wenn Bildungsinstitutionen den Bildungsbegriff aufgeben, wird die Unmündigkeit künstlich gefördert. Ein Beispiel hierfür sind die sogenannten Bildungsstandards. Bildung kann nicht standardisiert werden, höchstens Leistungs- oder Wissensstandards können entwickelt werden. Bildungsstandards setzen Normen durch und fördern keine Individualität. Wahrhaft Gebildete sind keine Klone eines Bildungsprozesses, sondern Individuen mit Ecken und Kanten, die flüchtiges Stückwerkwissen durchschauen können. Konformisten hingegen erscheinen charakterlos und ohne innere Substanz.
Die Entfaltung von individuellen Anlagen sollte in einer Gesellschaft für alle möglich sein, unabhängig von einer Elitefähigkeit. Eliten sind nicht planbar, da sie von individuellen Biographien und Gaben abhängen. Ein Rahmen mit Zeit, Muße und Freiheit kann jedoch beste Entfaltungsmöglichkeiten bieten. Eliten können weder in ihrer Entwicklung noch in ihrer Begabung berechnet oder geplant werden. Es ist aber wünschenswert, dass Eliten ihre Begabungen ausnutzen und die Gesellschaft bereichern. Wenn der Zustand der Eliten Rückschlüsse auf die Qualität der Demokratie zulässt, sollte die Gesellschaft ihre Eliten wachsam beobachten. Denn der Niedergang der Eliten führt oft auch zum Niedergang der Gesellschaft, die sie hervorgebracht hat. Deshalb erfordert Mut zur Demokratie auch Mut zu ihren Eliten.
Zauberwörter der Zukunft: Selbstorganisation, Selbstverantwortung und Selbstermächtigung
Um sicherzustellen, dass unsere Enkel auf diesem Planeten alt werden können, muss unsere Gesellschaft ihre Wirtschaft und ihre Mentalität ändern, um weniger zu brauchen und mehr zu teilen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Bildung in Menschlichkeit.
In der Geschichte der Menschheit hatte die Kultur eine dienende Funktion für das Leben und die Technik eine unterstützende Funktion für das Überleben. Für die Zukunft sind die Zauberwörter “Selbstorganisation”, “Selbstverantwortung” und “Selbstermächtigung” auf Basis ausreichend materieller Absicherung.
Die Gesellschaft der Zukunft braucht Ruhezonen und Inseln der Entschleunigung, um die wichtigen Aspekte wie langfristiges Denken, Entscheidungsstärke in komplizierten Vorgängen und ethische Haltungen zu fördern. All dies muss Teil unserer Bildungssysteme sein, die darauf abzielen, unsere Kinder auf die zukünftige Welt vorzubereiten.
Die Bildung sollte nicht darauf ausgerichtet sein, den Arbeitsmarkt zu bedienen, sondern darauf, dass jeder Mensch seinen Wert erkennt und seinen Platz in der Gesellschaft findet. Hierzu gehört, dass sich jede und jeder seiner Bedürfnisse bewusst wird, seine Urteilskraft schult, Zurückstecken lernt, Selbstkontrolle bewahrt, Nachdenklichkeit entwickelt und mit Stress umgehen kann.
Kapitalismus vs. Gemeinwohlökonomie:
Wer wird das Heft des Handelns übernehmen?
In der heutigen Zeit stehen wir vor der Herausforderung, eine neue Ordnung in unserer Wirtschaft zu etablieren. Der Weg dorthin führt jedoch nicht zur Abschaffung des Kapitalismus, da weder ein „revolutionäres Subjekt“ dafür existiert noch der Sozialismus als Alternative taugt.
Stattdessen sollten wir uns an historischen Beispielen orientieren, wie Otto von Bismarcks Sozialgesetzgebung in den 1880er Jahren, welche die Schattenseite der ersten industriellen Revolution aufhellte und den Manchester-Kapitalismus etwas entübelte. Ebenso haben die Denker der „Freiburger Schule“ in den 1930er Jahren sozialistische Elemente in den Kapitalismus eingebaut, um ihn attraktiver und beständiger im Systemwettbewerb mit dem Kommunismus zu machen – die Geburtsstunde der sozialen Marktwirtschaft.
Diese Konzepte haben die zweite industrielle Revolution zivilisiert und sind die Grundlage für die höchst erfolgreiche deutsche Ökonomie nach 1948. Angesichts der aktuellen vierten industriellen Revolution müssen wir erneut einen neuen Gesellschaftsvertrag abschließen und mehr Sozialismus in den Kapitalismus implementieren, um die aufsteigende Linie von Bismarck über die Freiburger Schule fortzusetzen. Andernfalls riskieren wir gewaltige ökonomische und gesellschaftliche Crashs.
Die Frage, wer im Falle eines Crashs das Heft des Handelns in die Hand nehmen wird, um kapitalistische Geschäftsmodelle in eine Gemeinwohlökonomie umzuwandeln, bleibt offen. Das “Proletariat” sicher nicht. Es bleibt die Frage, ob die EU in der Lage sein wird oder ob ein Aufstand der gebildeten Bürger notwendig sein wird.
Fazit:
In der Wissensgesellschaft ist Bildung ein wichtiger Faktor für die persönliche und berufliche Entwicklung von Menschen. Allerdings gibt es einige Herausforderungen, die Bildungseinrichtungen bewältigen müssen, um eine effektive Persönlichkeitsbildung zu ermöglichen. Das Misstrauen gegenüber Eliten in Deutschland ist ein historisches Problem, das sich bis heute auf die Bildungseinrichtungen auswirkt. Eine normierte Bildung kann dazu führen, dass die Individualität der Schülerinnen und Schüler nicht ausreichend gefördert wird. Bildungszertifikate allein sind keine Garantie für eine umfassende Persönlichkeitsbildung. Es gibt auch historische Beispiele für den Missbrauch von Eliten in politischen Systemen, die zeigen, wie wichtig es ist, Bildungsinhalte kritisch zu hinterfragen.
Bildung ist jedoch auch ein wichtiger Faktor, um ein zweckfreies Wissen zu entwickeln. Durch die Förderung von Selbstorganisation, Selbstverantwortung und Selbstermächtigung können Schülerinnen und Schüler befähigt werden, ihre Potenziale auszuschöpfen und ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Es liegt an den Bildungseinrichtungen, Kinder, Jugendliche und Erwachsenen darauf vorzubereiten, die Zukunft aktiv mitzugestalten und dabei den Blick auf das Gemeinwohl zu richten.
Insgesamt kann man sagen, dass Persönlichkeitsbildung in der Wissensgesellschaft eine Herausforderung für Bildungseinrichtungen darstellt. Die Förderung von individuellen Potenzialen und die Vermittlung von Werten wie Selbstorganisation, Selbstverantwortung und Selbstermächtigung sind wichtige Schritte auf dem Weg zu einer umfassenden Persönlichkeitsbildung.
Siehe auch Teil 1: Die Würde der Arbeit in Zeiten der Globalisierung: Die Mittelklasse in der Krise