Inhalt
Wiedergeburt / Reinkarnation / Seelenwanderung
Meditation als Generalprobe für den Tod
Leben und Tod
Der Tod ist nicht das Ende des menschlichen Lebens, sondern nur ein Übergang in eine andere Bewusstseinswelt.
Der Tod ist keine Anomalie oder das schrecklichste aller Ereignisse, wie die moderne Zeit uns glauben machen will, sondern das Natürlichste von der Welt, und er ist ebenso natürlich wie sein Gegenpol, von dem er nicht zu trennen ist – die Geburt.
Tod ist nicht das Gegenteil von Leben. Leben hat kein Gegenteil. Das Gegenteil von Tod ist Geburt. Leben ist unvergänglich.
Mit zwanzig erlebst du deinen Körper als stark und kraftvoll; sechzig Jahre später erlebst du deinen Körper als schwach und alt. Wahrscheinlich denkst du auch anders als mit zwanzig, aber das Bewusstsein, in dem du erlebst, dass dein Körper jung oder alt ist oder dass dein Denken sich verändert hat, ist unverändert geblieben.
Dieses Bewusstsein ist das Ewige in dir – es ist reines Gewahrsein. Es ist das gestaltlose eine Leben. Kannst du es verlieren? Nein, denn du bist es.
Sterben und Tod
Als eine Gesellschaft, die stolz ist auf ihr Leben und ihre Lebensführung, tun wir im Grunde alles, um das Thema Tod zu meiden. Und doch: Sterben müssen wir. Diese Realität gehört nun einmal zur Natur des menschlichen Lebens.
Rabbi Lewis D. Solomon, einer der angesehensten Kabbala-Experten in den USA, vermittelt uns eine einfache, doch zutiefst bedeutende Botschaft: Der Tod ist nicht das Ende des menschlichen Lebens, sondern nur ein Übergang in eine andere Bewusstseinswelt. Detaillierte Informationen darüber, was genau nach dem Tod mit dem menschlichen Bewusstsein geschieht, sind oft nur schwer aufzutreiben. Der Tod ist für uns das letzte und schrecklichste Geheimnis.
Geburt und Tod sind die Wellen auf der Meeresoberfläche vergleichbar. Das Auftauchen einer Welle ist eine Geburt; ihr Verschwinden ein Tod. Ihre Größe hängt unter anderem von der Größe der vorangegangenen Welle ab.
Dieser sich endlos wiederholende Prozess ist Geburt-Tod-Wiedergeburt – der Kreislauf des Daseins. In unserer Essenziellen Natur hingegen gibt es kein Kommen und Gehen, keine Geburt, keine Veränderung, keinen Tod. So stellt sich das Problem, wie man Geburt und Tod transzendieren, wie man den Ort finden kann, an dem es weder Geburt noch Tod gibt.
Der Prozess von Geburt und Tod
Der in jedem Moment stattfindende Prozess von Geburt und Tod, das Entstehen und Vergehen von Augenblick zu Augenblick, erfolgt in jeder Sekunde millionenfach – ungefähr in dem Tempo, in dem alte Zellen absterben und neue Zellen entstehen. Wir können daher sagen, dass fortwährend ein neues Ich geboren wird und dass ein sechzigjähriger Mensch nicht dieselbe – allerdings auch keine andere – Person ist, die er im Alter von 30 oder von zehn Jahren war. Leben ist also Sterben, und Sterben ist Leben.
Indem wir uns darin üben, jeden Augenblick voll und ganz mit dem Leben zu leben und mit dem Tod zu sterben, können wir beides transzendieren, ja sogar über die dualistische Unterscheidung von Transzendenz und Nicht-Transzendenz, Subjektivem und Objektivem hinausgehen. Die geistige Welt ist die Grundlage der materiellen Welt. Die Welt der Form wiederum beeinflusst das Reich des Geistes und lässt sich von ihm nicht trennen.
Anders gesagt: Da das Geistige die Macht beziehungsweise die Kraft ist, die alles Materielle durchdringt und ihm zu Grunde liegt, hängen die Geschehnisse in der physikalischen Welt in erster Linie vom Geist ab.
Existenzielle Fragen
Wenn wir zu innerem Frieden gelangen wollen, stehen wir alle früher oder später unweigerlich vor der Frage: Hat die Lebenskraft auch über den Tod hinaus Bestand?« Sie hat etwas zutiefst Beunruhigendes und verlangt dringend nach einer Antwort. Und zwar nicht nach einer philosophischen, sondern nach einer existenziellen.
»Warum bin ich auf dieser Erde? Woher bin ich gekommen? Was geschieht nach meinem physischen Tod mit der Lebensenergie, die ›mich‹ ausmacht? Droht mir die vollständige Auslöschung, oder werde ich in der einen oder anderen Form weiterleben? Gibt es auf der Ebene der Seele etwas Substanzielles, das von einem Körper unabhängig ist – etwas, das weiterwandert und sich in einer meinem Denken und Handeln in diesem Leben gemäßen Form wieder verkörpert? Oder gibt es vielleicht eine Art von Leben nach dem Tod, in materieller oder körperloser Form, in einem uns unbekannten Daseinsbereich? Kurz, werde ich gar nicht mehr da sein, oder werde ich in ein neues Dasein eintreten?
Warum fürchten wir den Tod?
Nicht in allen Kulturen herrscht eine derartige Angst vor dem Tod wie bei uns. Es gebe keinerlei Beleg dafür, betont Lyall Watson, dass Furcht ein natürlicher und unausweichlicher Bestandteil unseres Sterbeverhaltens sei. »Im Gegenteil«, schreibt er, »in Kulturen, die offener mit dem Tod umgehen und ihn als Bestandteil des Lebensprozesses ansehen, hat man keine Todesfurcht …«. Warum also ist die Todesfurcht in den Ländern des Westens so verbreitet?
Der französische Psychotherapeut Ignace Lepp argumentiert, dass letztlich die neurotische Todesfurcht in enger Beziehung zum Individualismus eines Menschen steht. Je mehr man sich als Individuum betrachtet und nicht als Mitglied einer Gruppe, desto mehr fürchtet man den Tod. Lepp sieht offenbar, zumindest im Westen, den Hauptgrund für die Todesfurcht im übertriebenen Individualismus des modernen Menschen.
Ein Grund dieser Todesfurcht scheint in einem ausgeprägten »Ich«-Bewusstsein zu liegen – im Haften an einem endlich-begrenzten Ich und in dem Gefühl, dieses Ich könne durch den Tod zunichtegemacht werden. Man fürchtet den Tod, weil man meint, er ziehe den endgültigen Schlussstrich unter unser Dasein und lasse uns für immer von der Bildfläche verschwinden. Der Gedanke, eines Tages dem Zerfall anheimgegeben und damit null und nichtig zu sein, wird uns so lange in Angst und Schrecken versetzen, wie wir den Geist mit dem Gehirn assoziieren und das Gehirn lediglich als einen Körperteil betrachten.
Der Philosoph Horace Kallen schreibt: »Bei manchen Menschen prägt die Furcht vor dem Tod das Leben, bei anderen hingegen die Lebensfreude. Die erstgenannten leben, vom Tod gezeichnet; letztere sterben, von Leben erfüllt. Wenn ich sterbe, möchte ich von Leben erfüllt sterben.«
Der Schlüssel zur Beseitigung der Todesfurcht
Der Schlüssel zur Beseitigung der Todesfurcht liegt nach buddhistischer Auffassung darin, dass wir uns aus dem Befangen sein im Ego lösen. Zu diesem Prozess gehört die Kultivierung einer gewissen Demut. Christus hat gesagt: »Den Demütigen wird die Welt gehören«. Damit meinte er nicht unterwürfige Menschen, die kein Rückgrat haben, sondern die Geduldigen und Bescheidenen, die nicht sonderlich stolz oder geltungsbedürftig sind. Demut ist keineswegs gleichbedeutend mit Gefügigkeit. Die ursprüngliche Bedeutung von Demut ist »Selbst-Aufgabe«: das Aufgeben aller Selbstsucht. »Keine Krone kann uns eine derart königliche Würde verleihen, wie es die Bescheidenheit vermag« schreibt Moses Maimonides.
Der Tod aus kabbalistischer Sicht
Einführung
Der Tod, so stellt Rabbi Solomon fest, ist kein schmerzhafter Augenblick, sondern eher so, als »zöge man einen Faden aus der Milch«. Die Seele lässt den psychischen Körper hinter sich und betritt eine übernatürliche Welt – jenseits aller üblichen Einschränkungen durch Zeit, Raum und Geographie – in der sich das Bewusstsein auf völlig neue Wege begibt.
Die Auffassung, dass es ein Bewusstsein gibt, das den Menschen nach dem Tod erfahrbar ist, erscheint unserem westlichen rationalen Denken fremd. Der jüdische Glauben lehrt, dass der Tod die Existenz der Seele nicht beendet. Das Leben – unsere Essenz, unser Geist – überlebt das Hinscheiden des Fleisches. Der Tod stellt einen Übergang von einem Bewusstseinszustand zu einer anderen Bewusstseinsebene – zu einem entkörperlichten spirituellen Bewusstsein – dar.
Nach dem körperlichen Tod betritt die menschliche Seele verschiedene nicht-materielle Welten. Dort durchläuft sie eine Reihe transformierender Erfahrungen, durch die sie gereinigt werden soll und die zugleich der Festigung der Lektionen aus dem eben beendeten Leben dienen. Das Leben nach dem Tod stellt also einen Entwicklungsweg des Bewusstseins dar. Dieser besteht aus verschiedenen Lernstufen und bewirkt, dass die Erlebnisse des Verstorbenen aus seinem unmittelbar vorangegangenen Leben integriert werden.
In dieser Phase nach dem Tod und vor der Wiedergeburt in einem neuen physischen Körper wird die Seele der Verstorbenen veredelt und transformiert. Schließlich werden fast alle Seelen wiedergeboren. Daher ist die Vorstellung von der Wiedergeburt also universell auf nahezu jeden Menschen anwendbar.
Stadien des Sterbens
Wir, die Lebenden, sollen den Tod nicht fürchten. Der Tod stellt vielmehr ein Erhobenwerden auf eine andere und höhere Lebensebene dar, die nicht mit dem Leiden des physischen Körpers verbunden ist. Der Tod bietet uns die Möglichkeit, in eine Welt aufzusteigen, die frei ist von allem, was uns auf der Erde behindert. Wenn wir weniger Angst vor dem Tod haben, so schwer uns das fallen mag, dann werden wir mitten im Leben neu in die Freude und Fülle des Lebens hineingeboren.
Gemäß der Überlieferung aus der jüdischen Mystik lösen sich während des Sterbeprozesses nicht nur die Elemente auf, sondern die meisten Menschen haben darüber hinaus vier visionsartige Erlebnisse:
A) Die Trennung der Seele vom physischen Körper
1. Sie sehen das Klare Licht
2. Sie begegnen bereits verstorbenen Angehörigen und Freunden sowie Engel
3. Sie erhalten einen Lebensrückblick
4. Sie gehen durch einen Tunnel
Die Reihenfolge in der diese inneren, subjektiven Visionen auftreten, ist bei jedem Menschen anders, je nach den Umständen seines Sterbens und dem Grad seiner spirituellen Entwicklung. Das Entscheidende ist, dass selbst nach dem physischen Tod der innere Auflösungsprozess auf einer nicht-körperlichen Ebene weitergeht.
B) Die Reinigung der Seele im Fegefeuer
Nach dem Tod löst sich die Seele aus dem physischen Körper, dessen Verwesung beginnt. Auf ihrer nachtodlichen Reise durchläuft sie verschiedene Stadien und erlebt dabei die Qualen des Fegefeuers ebenso wie die Glückseligkeit des Paradieses.
Während des Reinigungsprozesses im Fegefeuer büßt jede Seele für ihr Fehlverhalten auf Erden.
C) Das Paradies
In der nachtodlichen Paradies-Welt setzt die Seele ihren Entwicklungsweg des emotionalen, intellektuellen und spirituellen Wachstums fort. Das Paradies ist weder eine statische Erfahrung noch die Endstation der Seele. Es bedeutet für sie vielmehr Ruhe und Erholung; denn auf ihrem nachtodlichen Weg schreitet die Seele schließlich zu noch höheren, transzendenten Ebenen fort.
D) Spirituelle Vereinigung – Rückkehr zum Ursprung des Lebens
Wenn die Seele eines Verstorbenen ihre Entwicklung im Paradies abgeschlossen hat, kehrt sie zum Ursprung zurück, ins Göttliche Schatzhaus der Seelen, um sich auf die Wiedergeburt in einem neuen physischen Körper vorzubereiten.
Für die Mystiker schreitet die Seele nach und nach ihrem endgültigen Ziel entgegen: Der Vereiningung mit Gott, womit der Kreislauf ihres Geborenwerdens und Sterbens auf der irdischen Welt endet.
Mit der Reinkarnation der Seele auf der irdischen Welt schließt sich der Kreis ihres Weges nach dem Tod. Die Wiedergeburt gibt der Seele die Gelegenheit, frühere Fehler wiedergutzumachen und ihr Potenzial zu mehren, indem sie durch ihre Gedanken, Worte und Werke als neuer Mensch auf Erden ihre physischen, emotionalen, intellektuellen und spirituellen Eigenschaften verbessert.
Der Tod aus buddhistischer Sicht
Siddhartha Gautama, der spätere Buddha, erlangte unter einem Feigenbaus Erleuchtung: die Erkenntnis, was es mit dem menschlichen Leben auf sich hat. Ziel jedes Buddhisten ist es, selbst Erleuchtung zu finden, zum Buddha zu werden – als Bedingung für den Eingang ins Nirwana, die Befreiung aus dem Kreislauf der Wiedergeburt. Die Befreiung aus dem Kreislauf des Leidens sei das einzige, auf das es ankommt.
Moksha bedeutet in der indischen Philosophie und Religion das, was Buddhisten als Nirwana bezeichnen. Es bezeichnet einen Zustand der Erleuchtung, in dem der Kreislauf von Geburt, Leben, Tod und Wiedergeburt durchbrochen wird. Moksha ist sozusagen das Ziel des menschlichen Daseins.
Der Zyklus von Tod und Wiedergeburt (Samsara)
Dem tibetischen Buddhismus zufolge beginnt der Prozess des Sterbens, sobald die Grundlagen des Bewusstseins sich aufzulösen beginnen. Fortgeschrittene Yogis folgen dem Sterbeprozess bewusst, um die Kontrolle über die geistigen Zustände zu behalten, die im Sterben auftauchen, um den Tod als die Befreiung zu erleben, die er in Wirklichkeit ist.
Die Beschreibungen und Praktiken bezüglich der Auflösung der Elemente beruhen auf jahrhundertealten, detaillierter Betrachtungen erfahrener Meditierender in Tibet.
Teil dieser Beschreibungen ist die Auflösung unserer subjektiven Erfahrung, also dessen, was uns den Eindruck einer eigenständigen Identität verleiht, nämlich Körper, Empfindungen, Wahrnehmung, geistige Formationen und Bewusstsein.
Durch das Freisetzen der Elemente unserer Identität, also dessen, was wir »Ich« nennen, lösen wir uns in das strahlende Licht des Geistes auf und lassen das los, was wir als Bewusstsein bezeichnen.
1. Die Auflösung des Erdelements in Wasser und die Loslösung des Körpers
2. Die Auflösung des Wasserelements in Feuer und die Loslösung der Empfindungen
3. Die Auflösung des Feuerelements in Luft und die Loslösung der Wahrnehmung
4. Die Auflösung des Windelements in den Raum und die Loslösung der geistigen Formation
5. Die innere Auflösung
Der Tod aus biblischer Sicht
Der Tod ist Rückkehr. Wenn Gott Seinen Geist zurückzieht, ist er wieder zu Gott zurückgekehrt. Und der Körper kehrt zum Erdreich zurück. Bleibt nur noch zu fragen, wo die Seele ist. Allen Lebendigen ist eine Seele eigen. Allen Toten fehlt sie. Im Tode ist keine Seele mehr da.
»Der erste Mensch, Adam, wurde zu einer lebendigen Seele« (1.Kor, 15:45). Entscheidend dafür war, dass dem Körper Lebensodem, auch Lebensgeist genannt, eingehaucht wurde, Geist von Gott, denn »der Geist ist es, der lebendig macht« (Joh. 6:63).
Der Schlaf mit seiner Bewusstlosigkeit ist das treffende biblische Bild für den Todeszustand. Ein bewusstes Leben kann nur der Mensch in seiner Ganzheit führen. Wenn Körper und Geist nicht vereinigt sind, so ist da kein Mensch, kein Bewusstsein. Kein Teil kann für sich allein bewusst leben und somit den Menschen darstellen.
Der Tod aus Zen-buddhistischer Sicht
Einführung
Wir führen unser Dasein in Raum und Zeit, in einer endlichen, vergänglichen und materiellen Welt. Gleichzeitig aber sind wir in einer Welt zu Hause, die unendlich, ewig und gestaltlos ist. Da unser in dualen Gegensätzen denkender Verstand spaltet und trennt, sind wir unserem Essenziellen Geist entfremdet. Erst in einem erwachten Zustand wird uns Einsicht in diesen Geist zuteil. So sind wir also die innerlich zerrissenen Kinder von Mutter Erde und Vater Geist.
Bei Menschen mit hoher spirituellen Verwirklichung verwandelt sich das selbstbezogene Ich in ein selbstloses Ich. Nur bei einem Menschen, der auch von dem geringsten Gedanken an sich frei ist, kann man sagen, er sei wirklich ohne Ego und gleiche daher dem Buddha. Bei ihm ist kein Gedanke an den Körper mehr vorhanden. Auf dieser Stufe kann man ohne die leiseste Spur von Kummer, Groll oder Furcht dem Tod entgegengehen.
Die Buddhaschaft liegt in jedem von uns verborgen. Schließlich war auch der Buddha einst ein gewöhnlicher Mensch. Aber wir müssen bestrebt sein, aus uns herauszugehen, uns »zu vergessen«, uns vollkommen auf das einzulassen, womit wir konfrontiert sind. Indem wir uns selbst aus den Augen verlieren, stellen wir eine Verbindung zu etwas her, das größer ist als das Ich:
Habe den Mut, deinen Halt zu verlieren
am Rande des Abgrunds
und dich loszulassen von deinem kleinen Ich.
Dann offenbart sich auf natürliche Weise
die Wahre Natur, in der
es weder Leben noch Tod gibt.
Der Große Tod und die große Erneuerung
Sich vom Ich loszusagen heißt, sich von Anhaftungen zu befreien, von dem, woran wir hängen – von Menschen, unseren Wünschen, Hoffnungen, Fantasien, auch von unseren Idealen und vor allem von unserem Leid. Wir müssen die Erwartung aufgeben, dass sich uns das Leben immer von derselben Seite zeigen wird wie jetzt, und uns von unseren vorgefassten Meinungen lösen, wie die Dinge laufen beziehungsweise nicht laufen sollten.
Kierkegaard bringt das auf den Punkt, wenn er sagt, wer loslasse, verliere für einen Moment den Boden unter den Füßen; nicht loszulassen bedeutet jedoch, den Boden für immer unter den Füßen zu verlieren. Der Sterbeprozess ist für das Leben genauso wichtig wie der Prozess des Geborenwerdens.
Der Todesstoß für das Ich ist zugleicht eine Leben spendende Handlung. Im Zen bezeichnet man das als den Großen Tod und die große Erneuerung. Den Großen Tod zu sterben bedeutet, über Leben und Tod hinaus und zu vollständiger Freiheit zu gelangen. Der physische Tod ist dann von untergeordneter Bedeutung.
In sämtlichen religiösen Überlieferungen sind die spirituell überragenden Gestalten Menschen, die ohne Zögern mit erhobenen Händen in den Abgrund springen, der Flammen ihrer ursprünglichen Natur. Mit diesem von vollstem Vertrauen getragenen Sprung lässt man nicht nur das Ego hinter sich, sondern gleichzeitig auch alle trügerischen Vorstellungen und Empfindungen. Und man wird in einer lichten Welt wahrer Freiheit wieder geboren. Nur wer auf diese Weise zu neuem Leben gelangt ist, kann singen:
Wer stirbt,
bevor er stirbt,
stirbt nicht,
wenn er stirbt.
Dem Tod furchtlos ins Auge schauen
Das letzte Zeichen des Respekts, den wir dem Leben schuldig sind, ist ein würdevoller Tod.
Würdevoll ist er, wenn man bereitwillig stirbt, genauso natürlich, wie man abends einschläft, ohne Anhaftung, ohne Festklammern am Leben, indem man einfach »mitfließt«.
Ein ruhiger, bereitwillig angenommener Tod, höchstwünschenswert und doch so selten, ist das Resultat eines weise geführten Lebens. Das Sanskritwort Nirvana bedeutet wörtlich »Verlöschen« und bezeichnet den über alle Bedingtheit hinausgelangten Daseinszustand jenseits von Geburt und Tod. Diesen erreicht man, sobald die grundlegende Unwissenheit und jegliches Verlangen ausgelöscht sind, sobald alles Karma – die Ursache der Wiedergeburt – abgetragen ist.
Tag für Tag sterben
Um in Frieden sterben zu können, müssen wir verstehen, wer oder was eigentlich stirbt. Machen Sie sich frei von einem Denken, das den Tod vom Sterben unterscheidet, das Trennungen vollzieht – »ich und anderes« formuliert. Wen gibt es dann noch, der »ich sterbe« sagen oder denken könnte? In diesem überaus erstrebenswerten Zustand kann es kein Anhaften am Leben, kein Hadern mit dem Tod mehr geben. Bei diesem Einswerden mit dem Sterben handelt es sich um einen meditativen Zustand.
Die Wahrheit über das Sterben ist: Tatsächlich werden wir in unserem Leben tagtäglich darauf gestoßen. Sind Sie jemals von einem Menschen, den Sie innig geliebt haben, zurückgewiesen worden? Haben Sie in diesem Augenblick nicht das Gefühl gehabt, es sei ein Teil von Ihnen gestorben? Und was haben Sie beim Ableben eines Menschen, der Ihnen sehr nahestand, empfunden? Ist nicht etwas von Ihnen mit ihm oder ihr gestorben? Jeden Tag vollzieht sich bei so vielen Gelegenheiten ein kleines Sterben. Diese täglichen Sterbeprozesse sind der Preis, den wir zu zahlen haben, wenn wir uns auf Beziehungen zu anderen Menschen einlassen. Je mehr wir an Menschen und Dingen hängen, desto größeren Schmerz empfinden wir bei ihrem Verlust.
In allen Lebensabschnitten – Kindheit, Jugend, mittleres Alter, hohes Alter – verliert man unweigerlich andere Menschen. Aber diese Todesfälle sind zugleich die Vorboten neuen Lebens. Wenn wir nämlich eins werden mit dem Kummer – und nicht außerhalb von Ihm stehen -, verschwinden Schmerz und Leid unversehens. Und in der Folge stellt sich eine größere Bewusstheit ein, eine befreiende Freude. Aus solchem Sterben erwächst die unerschütterliche Gewissheit, das Verlust und Gewinn, Gut und Schlecht unser innerstes Wesen nicht berühren können. Diese täglichen eintretenden Todesfälle sind also Wiederauferstehungen.
Wir sterben, weil wir leben. Leben bedeutet Geburt und Tod. Erschaffung und Zerstörung sind Zeichen von Leben.
Gut sterben
Die wahre Kunst des Sterbens besteht darin, dass man stirbt, ohne an etwas zu denken, ohne an etwas zu hängen – dass man einfach dahingeht wie die Wolken am Himmel. Das ist die Kunst des Sterbens in ihrer höchsten Vollendung.
Um sterben zu können, ohne an etwas zu denken, müssen Sie durch Meditation und weitere Geistesübungen ihre ungezügelten Gedanken unter Kontrolle gebracht und ihre Emotionen in hohem Maß gemeistert haben.
A) Beim Sterben keine Wünsche zu haben setzt das tief verwurzelte Wissen voraus, dass Sie im Grunde bereits ein vollständiges Ganzes sind und es Ihnen daher an nichts mangelt.
B) Beim Sterben nichts verstehen zu wollen erfordert die Einsicht, dass sämtliche Phänomene einschließlich Ihrer Gedanken, Empfindungen und Wahrnehmungen unbeständig sind; dass sie in Erscheinung treten, sobald bestimmte Ursachen und Bedingungen für ihr zustande kommen gegeben sind, und dass sie mit dem Auftreten neuer, ursächlich wirkender Faktoren wieder verschwinden.
C) Beim Sterben an nichts zu hängen bedeutet, tief innen zu wissen, dass nichts wirklich uns gehört, weder Körper noch Geist, noch das Leben – und dass der Tod darin besteht, Etwas loszulassen, das wir genau genommen niemals besessen haben.
Der Buddha erklärt uns: »Wer Glück sucht, kann es finden, wenn er praktiziert.« Durch ausdauernde und geduldige Geistesschulung bezweckt der Edle Achtfache Pfad nicht weniger als eine vollständige Erneuerung des Menschen.
Geistesschulung im weitesten Sinn bedeutet, jederzeit bewusst und aufmerksam zu sein und eine Geisteshaltung zu kultivieren, die von willkürlichen Auffassungen, Diskriminierungen, Vorurteilen und emotionalen Einfärbungen frei ist.
Der Tod aus integraler Sicht
Einführung
Der Tod ist ein Prozess, in dem sich die Große Kette Des Seins »auflöst«, »für das Individuum«, »von unter herauf« sozusagen. Beim Tod löst sich der Körper in den Geist (mind) auf, dann der Geist in die Seele, dann löst sich die Seele in den GEIST (spirit) auf, und jede dieser Auflösungen wird durch einen spezifischen Satz von Ereignissen markiert. Zum Beispiel ist das Auflösen des Körpers in den Geist der aktuelle Prozess des physischen Sterbens. Das Auflösen des Geistes in die Seele wird erlebt als Rückschau und »Beurteilung« des eigenen Lebens. Das Auflösen der Seele in den GEIST ist eine radikale Befreiung und Transzendenz.
Dann »kehrt sich« der Prozess sozusagen »um«, und aufgrund unserer angesammelten karmischen Tendenzen schaffen wir eine Seele aus dem GEIST, danach einen Geist aus der Seele, dann einen Körper aus der Seele – daraufhin vergisst man alle früheren Schritte und findet sich in einem physischen Körper wiedergeboren.
Die tibetische Tradition enthält die reichste, detaillierteste phänomenologische Beschreibung der Auflösungsstufen der großen Kette während des Sterbeprozesses.
Stadien des Sterbens
A) Die Form löst sich auf
Die erste Stufe des Sterbeprozesses ereignet sich, wenn das Aggregat der Form oder die Materie – die niedrigste Stufe in der großen Kette – sich auflöst. Dabei soll es fünf externe Anzeichen geben: der Körper verliert seine physische Kraft; unsere Sicht wird unklar und verschwommen; der Körper wird schwer und fühlt sich, als würde er »sinken«; das Leben geht aus den Augen; und das Aussehen des Körpers verliert seinen Glanz.
B) Das Fühlen löst sich auf
Als nächstes löst sich das zweite Aggregat, das Fühlen, auf. Wieder gibt es fünf externe Anzeichen: Man hat keine körperlichen Gefühle mehr – weder angenehme noch unangenehme; geistige Gefühle hören auf; Körperflüssigkeiten trocken ein (z.B. wird die Zunge sehr trocken); man nimmt keine externen Signale mehr wahr; und interne Signale (Ohrensummen zum Beispiel) hören auch auf.
C) Die Wahrnehmung löst sich auf
Die dritte Stufe ist die Auflösung der dritten Ebene oder des dritten Aggregats, das der Wahrnehmung oder Unterscheidung. Die fünf externen Anzeichen: Man kann nicht länger Objekte erkennen oder unterscheiden; man kann nicht mehr Freunde oder die Familie erkennen; die Körperwärme geht verloren (der Körper wir kalt); unsere Atmung wird sehr schwach und flach; und man kann keine Gerüche mehr entdecken.
D) Die Absicht löst sich auf
Die vierte Stufe ist die Auflösung der vierten Ebene oder des vierten Aggregats, das der Absicht. Die fünf externen Anzeichen dieser Auflösung: Man kann sich nicht mehr bewegen (weil keine Impulse mehr vorhanden sind); man kann sich nicht mehr an Handlungen oder an ihre Zwecke erinnern; das Atmen stoppt; die Zunge wird dick und blau und man kann nicht deutlich sprechen; und man kann nicht mehr Geschmack empfinden.
E) Das Erkennen löst sich auf
Stufe fünf ist die Auflösung der fünften Ebene oder des fünften Aggregats, nämlich des Erkennens oder des groben Bewusstseins selbst. Diese Ebene ist aufgeteilt in den so genannten grobstofflichen Geist, den subtilen Geist und den sehr subtilen Geist, jeder von ihnen löst sich in der Reihenfolge auf, indem spezifische Anzeichen und Erfahrungen produziert werden. Während dieser fünften Stufe, nachdem der Rest des grobstofflichen Geistes abgestorben und der Beginn des subtilen Geistes aufgetaucht ist, erfährt man einen Zustand, der »weiße Erscheinungen« genannt wird.
F) Der subtile Geist löst sich auf
Auf Stufe sechs lösen sich der subtile Geist und sein Wind auf, und ein noch subtilerer Geist, genannt »rote Zunahme«, erhebt sich.
G) Alle Manifestationen lösen sich auf
Stufe sieben soll die Auflösung des subtilen Geistes der roten Zunahme sein und das Aufsteigen eines sogar noch subtileren Geistes und Windes, genannt »der Geist des schwarzen Beinahe-Erreichens«. In diesem Zustand hört alles Bewusstsein auf, alle Manifestationen lösen sich auf. Darüber hinaus geschieht das Auflösen aller spezifischen Bewusstseinsarten und Energien, die in diesem Leben entwickelt worden sind. Die Erfahrung soll die einer komplett schwarzen Nacht sein, ohne Licht.
H) Klares Licht
Auf der nächsten und letzten Stufe wird eine Periode von außerordentlicher Klarheit und strahlendem Gewahrsein erreicht. Die erfahren wird wie ein extrem klarer, heller und strahlender Himmel, frei von irgendeiner Art von Makel, von Wolken, von Hindernissen. Das ist das klare Licht.
An diesem Punkt hört jedes Bewusstsein auf und die Seele, der ewig unzerstörbare Tropfen, beginnt mit der Bardo-Erfahrung oder den Zwischenzuständen, die schließlich zur Wiedergeburt führen werden.
Seele
Der Ausdruck Seele hat vielfältige Bedeutungen, je nach den unterschiedlichen mythischen, religiösen, philosophischen oder psychologischen Traditionen und Lehren, in welchen er vorkommt.
Im heutigen Sprachgebrauch ist hierbei oft die Gesamtheit aller Gefühlsregungen und geistigen Vorgänge beim Menschen gemeint. In diesem Sinne ist »Seele« weitgehend gleichbedeutend mit »Psyche«, dem griechischen Wort für Seele.
»Seele« kann aber auch ein Prinzip bezeichnen, von dem angenommen wird, dass es diesen Regungen und Vorgängen zugrunde liegt, sie ordnet und auch körperliche Vorgänge herbeiführt oder beeinflusst. [Wikipedia]
Darüber hinaus gibt es religiöse und philosophische Konzepte, in denen sich »Seele« auf ein immaterielles Prinzip bezieht, das als Träger des Lebens eines Individuums und seiner durch die Zeit hindurch beständigen Identität aufgefasst wird. Oft ist damit die Annahme verbunden, die Seele sei hinsichtlich ihrer Existenz vom Körper und damit auch dem physischen Tod unabhängig und mithin unsterblich.
Der Tod wird dann als Vorgang der Trennung von Seele und Körper gedeutet. In manchen Traditionen wird gelehrt, die Seele existiere bereits vor der Zeugung, sie bewohne und lenke den Körper nur vorübergehend und benutze ihn als Werkzeug.
Seele aus kabbalistischer Sicht
Moderne wissenschaftliche Erkenntnisse scheinen auf die Existenz einer unsterblichen Seele hinzuweisen. Nach seiner Auseinandersetzung mit der im Laufe der letzten fünfundzwanzig Jahre stetig anwachsenden Literatur zur wissenschaftlichen Erforschung der Nahtod-Erfahrungen kommt ein Kommentator zu dem Schluss: »Es fällt einem sehr schwer, sich nach einer gründlichen Analyse dieser Indizien des Eindrucks zu erwehren, dass die Wissenschaft hier tatsächlich über Daten der Seele gestolpert ist.«
Aufbauend auf dem mittelalterlichen philosophischen Denken stellt das mystische jüdische Modell die Seele als ein vereinigtes Ganzes dar, als eine Totalität, die aus miteinander verbundenen Bewusstseinsfeldern sowie bewusster Energie besteht und jeden Menschen mit Gott verbindet. Es lässt sich zwar nur schwer mit Worten ausdrücken, doch die jüdischen Mystiker betrachten die Seele – unsere innere Substanz, unseren Geist, unsere höhere Bewusstseinsebene – als aus vier miteinander verflochtenen Energiefeldern oder -ebenen bestehend, nämlich dem physischen, dem emotionalen, dem intellektuellen und dem spirituellen Feld.
Die mentale Bewusstseinsebene dient als Brücke zwischen der Welt der Menschen und der Göttlichen Welt. Aus der Entwicklung der intellektuellen Ebene der jeweiligen Seele geht ihr höheres Gottesbewusstsein hervor.
Wir können daher unsere Seele als die Kraft betrachten, die den Körper mit Gesundheit und Energie versorgt.
a) Sie ist die Kraft, die dem menschlichen Leben seine Lebendigkeit und Stärke schenkt.
b) Sie ist die Kraft, die jedem Herzen seine Emotionen zuleitet.
c) Sie ist die Kraft, durch die wir das Unsichtbare in unserem Inneren sehen und Großes schaffen können.
d) Sie ist die Kraft, die alle Körperteile in Einklang miteinander bringt und Körperfunktionen und Körperausdruck koordiniert.
Deshalb ist die Seele die Essenz eines Menschen.
Seele aus indischer und buddhistischer Sicht
Die alten indischen Lehren mit Ausnahme der materialistischen (nāstika) und des Buddhismus gehen davon aus, dass der menschliche Körper von einer Vitalseele (jīva, wörtlich »Leben«, »Lebewesen«) beseelt wird, die zugleich Träger des individuellen Selbstbewusstseins (Ich-Seele) ist. Jede jīva kann aber auch ebenso jeden beliebigen anderen Lebewesen-Körper bewohnen. Im Kreislauf der Wiedergeburt (Samsara, Seelenwanderung) verbindet sie sich nacheinander mit zahlreichen menschlichen, tierischen und pflanzlichen Körpern. Die Seele hat demnach immer Priorität vor dem Körper und überdauert seinen Tod.
Im Buddhismus gilt dies statt für die Seele für die Gesamtheit der ein Individuum prägenden mentalen Faktoren. Beim Tod trennt sich die Seele vom Körper. Die Ich-Seele ist daher zugleich Freiseele; als solche wird sie auch ātman oder purusha genannt.
Buddhisten bestreiten die Existenz einer Seele im Sinne einer den Tod überdauernden einheitlichen und beständigen Realität. Aus buddhistischer Sicht ist das, was den Tod überdauert und den Kreislauf der Wiedergeburt in Gang hält, nichts als ein vergängliches Bündel von mentalen Faktoren, hinter dem kein Personenkern als eigenständige Substanz steckt. Dieser Komplex löst sich früher oder später in seine Bestandteile auf, indem er sich fortlaufend schrittweise umwandelt, wobei Teile ausscheiden und andere hinzukommen. Der metaphysische Begriff ātman (Seele) ist demnach leer, da ihm kein konstanter Inhalt entspricht.
Seele aus christlicher Sicht
Im Neuen Testament kommt der griechische Begriff ψυχή (psyche) vor, der in älteren Bibelübersetzungen mit »Seele« wiedergegeben wird. Der Begriff psyche ist unscharf, an manchen Stellen wohl mehrdeutig, die Übergänge zwischen seinen Bedeutungen sind fließend.
Abgesehen von der theologischen Seelenlehre der christlichen Kirche bildeten sich nach Aristoteles bis zum 17. Jahrhundert keine genauen Auffassungen auf diesem Gebiet. Erst mit Descartes begann ein neuer Abschnitt in der Psychologie. Descartes behauptete, dass die Seele weder Stoff noch Kraft, sondern eine Substanz ist, deren Wesen ausschließlich im Bewusstsein liegt, die also weder räumlich gemessen noch nach Masse oder Geschwindigkeit berechnet werden kann. Seit Descartes wird die Seele als eine einfache, unausgedehnte immaterielle Substanz bezeichnet.
Die Auffassung, dass sämtliche physiologischen Vorgänge unter der Herrschaft der Seele stehen, stammt schon aus dem Altertum und wurde von Herakleitos, Platon, Aristoteles, Hippokrates und Galenos vertreten. Im 17. und 18. Jahrhundert setzte der berühmte Mediziner G. F. Stahl Seele und hippokratische Physis einander gleich. Zu dieser Ansicht bekennen sich auch zahlreiche moderne Psychologen.
Seele aus Sicht der Jung‘schen Analytischen Psychologie
Carl Gustav Jung gab in seiner 1921 veröffentlichten Untersuchung Psychologische Typen eine Definition des Begriffs »Seele« im Rahmen der von ihm verwendeten Terminologie. Er unterschied zwischen Seele und Psyche. Als Psyche bezeichnete er die Gesamtheit aller – bewussten und unbewussten – psychischen Vorgänge. Die Seele beschrieb er als »einen bestimmten, abgegrenzten Funktionskomplex, den man am besten als eine Persönlichkeit charakterisieren könnte«.
Zu unterscheiden sei zwischen der äußeren und der inneren Persönlichkeit des Menschen; die innere setzte Jung mit der Seele gleich. Die äußere Persönlichkeit sei eine von den Absichten des Individuums und von den Ansprüchen und Meinungen seiner Umgebung geprägte »Maske« oder Persona.
Die innere Persönlichkeit, die Seele, sei »die Art und Weise, wie sich einer zu den inneren psychischen Vorgängen verhält«, seine innere Einstellung, »der Charakter, den er dem Unbewussten zukehrt«.
Seele aus integraler Sicht
In Übereinstimmung mit den meisten Zweigen der immerwährenden Philosophie wird die Seele durch zwei grundsätzliche Charakteristiken definiert: Erstens ist sie der Speicher unserer »Tugend« – das heißt unseres Karmas, sowohl gut als auch schlecht; zweitens ist sie unsere »Stärke« des Gewahrseins oder unserer Fähigkeit, die phänomenale Welt ohne Anhaftung oder Abneigung »zu bezeugen«. Diese zweite Fähigkeit ist auch als »Weisheit« bekannt. Die Anhäufung dieser beiden – Tugend und Weisheit – machen die Seele aus.
Sogar der Buddhismus, der die absolute Existenz der Seele leugnet, akzeptiert, dass die Seele eine relative oder konventionelle Existenz hat und dass diese relativ oder konventionelle existierende Seele tatsächlich weiterwandert. Wenn das Absolute direkt erfahren wird, dann kommt die relative Seelenwanderung – und die getrennte Seele – zu einem Ende.
Um die Ursache verschiedener Phänomene und Erscheinungen während des Sterbeprozesses zu verstehen, muss hier der tibetische Begriff des thig-le eingeführt werden, der etwa »Tropfen« oder »Essenz« meint. Der (vierte) Tropfen, der für unser Leben unzerstörbar ist, der immer bleibt – das heißt, er ist unzerstörbar dieses Leben hindurch, unzerstörbar durch den Tod und den Sterbeprozess, unzerstörbar durch den Bardo oder Zwischenzustand zwischen Tod und Wiedergeburt und auch während der Wiedergeburt selbst.
Karma
Karma bezeichnet ein spirituelles Konzept, nach dem jede Handlung – physisch wie geistig – unweigerlich eine Folge hat.
Die wörtliche Übersetzung von Karma lautet Aktion, die eine Wirkung, welche auf die Ursache – sprich: den Verursacher – zurückfällt.
In den indischen Religionen ist die Lehre des Karma eng mit dem Glauben an Samsara, den Kreislauf der Wiedergeburten, verbunden und damit an die Gültigkeit des Ursache-Wirkungs-Prinzips auf geistiger Ebene auch über mehrere Lebensspannen hinweg. Im Hinduismus und Buddhismus bezeichnet der Begriff die Folge jeder Tat, die Wirkungen von Handlungen und Gedanken in jeder Hinsicht, insbesondere die Rückwirkungen auf den Akteur selbst.
Jede von einem Menschen ausgeführte Handlung, ob gut oder schlecht, hinterlässt einen Abdruck oder Rückstand (Karma). Diese karmischen Abdrücke bestimmen die Umstände zukünftiger Geburten.
Wiedergeburt / Reinkarnation / Seelenwanderung
Wiedergeburt setzt voraus, dass etwas den Tod des Menschen überlebt und wiedergeboren werden kann. Fast alle Religionen haben dem Menschen eine Seele zuerkannt, und eben diese Seele soll es sein, die den Tod übersteht und sich wieder einkörpert. Reinkarnation bedeutet also, dass die Seele wieder in einen Menschen zurückkehrt, dass sie wiedergeboren wird.
Das klingt phantastisch.
Die Reinkarnation ist nicht ein Begriff, der nur im Buddhismus vorkommt und zu dem sich einige wenige Menschen bekennen. Der Gedanke der Wiedergeburt taucht in fast allen Religionen auf, und die besten Denker aller Zeiten, die größten Philosophen haben sich zur Reinkarnation bekannt.
Warum?
Natürlich war Religion, und hier besonders der Glaube an ein Leben nach dem Tode, immer der Versuch, das »Jammertal« auf Erden erträglicher zu machen, Hoffnungen auf eine bessere Existenz »danach« zu geben und die Ungerechtigkeiten dieser Welt zu erklären. Doch hinter dem Begriff der Wiedergeburt steht mehr. Hier wird nicht in erster Linie ein Himmelreich versprochen. Alle Denker und Philosophen sehen in der Möglichkeit, mehrmals zu leben, vielmehr die logische Erklärung für die Entwicklung des Menschen.
Sie argumentieren: Wenn das Leben wirklich einen Sinn und ein Ziel haben soll, so kann dies nur in einer höheren biologischen und geistig-seelischen Entwicklung liegen.
Das amerikanische Medium Arthur Ford sagte, der Mensch müsse auf diese Welt so oft zurückkehren, solange er »schwarze Flecken« auf der Seele habe. Hat er wirklich recht? Egal, was wir im Westen von der Lehre von der Reinkarnation bzw. der Seelenwanderung halten: Sie ist auf jeden Fall eine der Grundlagen des Buddhismus. Nach buddhistischer Vorstellung befinden sich alle Lebewesen in einem Kreislauf von Existieren, von Tod und Wiedergeburt, dem Samsara. Ursache dafür ist das Karma. Wenn der Geist von allen karmischen Eindrücken befreit ist und so kein neues Karma mehr entsteht, ist die Erleuchtung erreicht. Im Nirwana (oder Moksha) gibt es weder Tod noch Wiedergeburt. Der Geist hat sich aus dem samsarischen Kreislauf gelöst.
Wiedergeburt aus Zen-buddhistischer Sicht
Der Glaube an ein Leben nach dem Tod
Mit gutem Recht darf man sagen, dass keine andere Idee sich so lange gehalten und als so vielgestaltig erwiesen hat wie die Vorstellung, dass der Tod des physischen Körpers keineswegs den Endpunkt der irdischen Existenz markiert. Über Mythen und Legenden, sakrale Texte und Rituale wurde der Glaube an die Kontinuität des Daseins bis in die Gegenwart weitergereicht.
Für die alten Ägypter stand die Realität eines Lebens nach dem Tod außer Frage. Die Griechen hatten die ermutigende Vorstellung, kurz nach der Befreiung vom Körper flögen die Seelen wie freigelassene Vögel in die paradiesische Seligkeit des Elysiums. Zumindest bis zum Zweiten Konzil von Konstantinopel im Jahre 553 n. Chr. glaubten auch die frühen Christen an die Wiedergeburt. Auch heute sind viele nach wie vor nicht bereit zu akzeptieren, dass der Tod unzweifelhaft das Ende bedeutet. Viele herausragende Persönlichkeiten unserer Epoche – C. G. Jung, Ralph Wald Emerson, Albert Schweizer, Henry David Thoreau, Mahatma Gandhis, um nur ein paar zu nennen – haben an Reinkarnation, Seelenwanderung oder Wiedergeburt geglaubt.
Wiedergeburt und Lebensziel
Das höchste Ziel eines Menschen, der nach Erleuchtung strebt, ist nicht die Wiedergeburt, nicht der Schmerz und das Leid, die mit der körperlichen Existenz unweigerlich verbunden sind, sondern der Zustand reinen Bewusstseins jenseits aller Bedingtheit. Wer wirklich nach Erleuchtung strebt, dem geht es um die Befreiung – die eigene ebenso wie die aller anderen Wesen – vom Schmerz und von den Frustrationen zahlloser Leben, Befreiung vom endlosen Kreislauf der Wiedergeburten.
Kurzum: Was uns ein ums andere Mal in die Wiedergeburt treibt, ist die Begierde, das Verlangen, der Wille, erneut einen Körper zu haben, in Verbindung mit dem starren Festhalten an unsere Vorstellung, eine eigenständige Wesenheit zu sein. Die Wiedergeburt ergibt sich also als unausweichliche Konsequenz aus der Tatsache, dass wir in diesem Leben keine vollständige Erleuchtung erreicht haben – keine umfassende Integration.
Der Unterschied zwischen Wiedergeburt und Reinkarnation
Die Lehren von der Seelenwanderung und der Reinkarnation unterstellen die Existenz einer Seele und sind eine Vereinfachung der Lehre von der Wiedergeburt, die schwerer zu erfassen ist. Das Problem liegt in dem Begriff »Seele«. Was wir als unsere Seele bezeichnen, als unser Selbst, ist in Wahrheit nichts weiter als ein Bewusstseinsstrom.
Der buddhistische Gelehrte Francis Story erklärt den Begriff »Seele« genauer: Im Westen wurden durch den Gebrauch der Worte »Reinkarnation«, »Seelenwanderung« und »Seele« zahlreiche Missverständnisse hervorgerufen … »Seele« ist ein vieldeutiger Begriff, der im religiösen Denken des Abendlandes niemals klar definiert wurde. Aber im Allgemeinen soll er die Gesamtheit der individuellen Persönlichkeit bezeichnen: eine dauerhafte Ich-Einheit, die mehr oder weniger unabhängig vom physischen Körper existiert und den Tod überdauert.
Man sieht in der »Seele« denjenigen Persönlichkeitsfaktor, der den einen Menschen vom anderen unterscheidet, und als ihre Bestandteile betrachtet man das Bewusstsein, den Geist, den Charakter – alles, was die psychische, immaterielle Seite des Menschen ausmacht. Reinkarnation unterstellt eine eigenständige, weiter wandernde Seelensubstanz, die sich in einer neuen Gestalt verkörpert. Die Lehre von der Wiedergeburt, von der Kontinuität des Lebens, lässt eine derartige Vorstellung nicht zu.
Was wird wieder geboren?
Obgleich sich den Sinnen kein greifbarer Anhaltspunkt für Kontinuität bietet, liegt ein ununterbrochener Fluss vor. Von ihm kann man weder sagen, es handle sich um einen anderen, noch, es handelt sich um denselben. Der Gelehrte T. R. V. Murti erläutert dies so: »Wiedergeburt bedeutet nicht die leibhaftige Beförderung einer individuellen Essenz von einem Ort zum anderen, sondern nur den Anfang einer neuen Abfolge von Zuständen, die durch die früheren Zustände bedingt sind.«
Wenn das Leben eine Abfolge von durch kausale Verkettung miteinander verbundenen Momenten ist, so ist der Moment jenseits des Todes das nächste Glied in der Kette. Das Leben besteht aus einer Reihe von Ereignissen oder Vorfällen, und der Tod reiht sich in diese Ereignisse ein und führt zum nächsten Ereignis. Es gibt also kein Selbst, das wieder geboren wird, sondern eine fortlaufende Kontinuität des »Wieder-Entstehens«. In jedem Moment seines Lebens wird der Mensch geboren und stirbt, dennoch besteht er kontinuierlich weiter. Dasselbe gilt für den Moment des Todes.
Bei der Wiedergeburt, oder genauer, dem »Wieder-Entstehen«, geht es also nicht um den Transfer einer Seelensubstanz. Besser lässt sie sich als die Fortsetzung jenes Prozesses beschreiben, der in jedem Bewusstseins-Moment stattfindet, und sich in der Weise fortsetzt, dass er unsere Wiedergeburt einerseits bewirkt und sich andererseits auf sie auswirkt. Was also wird wieder geboren? Ihm einen Namen zu geben bedeutet, die Wahrheit so zu drehen, bis sie uns passt. Ein erleuchteter Meister sagte bloß: »Weder er noch ein anderer.« Ein anderer Weiser erklärte: »Es handelt sich lediglich um einen materiellen und immateriellen Zustand, der eintritt, wenn die Bedingungen für ihn da sind … Es handelt sich nicht um ein dauerhaftes Wesen, eine Seele.«
Seelenwanderung aus integraler Sicht
Wenn die Seele erwacht oder sich in GEIST auflöst, dann wandert sie nicht länger weiter, sie ist »befreit« oder sie nimmt wahr, dass sie als GEIST überall reinkarniert ist, als alle Dinge. Aber wenn die Seele nicht zum GEIST erwacht ist, wenn sie nicht erleuchtet ist, dann reinkarniert sie, indem sie die Ansammlung ihrer Tugend und Weisheit mit sich nimmt, eher als spezifische Erinnerung ihres Geistes (mind). Diese Kette der Wiedergeburten setzt sich fort, bis diese beiden Ansammlungen – Tugend und Weisheit – schließlich einen kritischen Punkt erreichen, woraufhin die Seele erleuchtet oder aufgelöst und befreit im GEIST wird, und so endet die individuelle Seelenwanderung.
GEIST aus integraler Sicht
Für die Integrale Theorie ist GEIST nicht nur das Ziel, sondern auch die Ursache aller Evolution. GEIST ist das Höchste, der Omega-Punkt, auf den sich alles hinbewegt, »Bewusstsein an sich«.
Der Integralen Theorie zufolge beginnt die Existenz des Kosmos damit, dass GEIST sich in einem Involutionsprozess schrittweise über die Zustände (GEIST – Seele – materieller Körper) einfaltet, »sich selbst vergisst«, um sich im Urknall als Materie zu manifestieren und schrittweise in der Evolution wieder zu entfalten, womit Abstieg (Involution) und Aufstieg (Evolution) zu den beiden Grundbewegungen von *GEIST* werden.
Da GEIST jenseits des rationalen Erfassens liegt, ist jeder Versuch, ihn sprachlich zu erfassen, eine »beschreibende Nichtbeschreibung … und kein wirkliches Modell«: »GEIST ist radikal … leer von jeglichen Eigenschaften, einschließlich dieser Charakterisierung …«. GEIST ist an Hegel angelehnt und meint »eigenschaftslose Tiefe« – und ist kein Synonym für einen Gott gleich welcher Art.
Einfach gesagt: GEIST ist die leere Leinwand, der Hintergrund. Die konkrete Evolution des Kosmos ist der Film, der darauf läuft. Ein anderes stimmiges Bild wäre GEIST als der Ozean und GEIST-in-Aktion als die Welle darauf. Beides – die Leerheit und die konkreten Phänomene – fasst die Integrale Theorie zum nondualen *GEIST* zusammen.
Der Prozess der Wiedergeburt
Der Prozess des Sterbens ist die fortschreitende Auflösung der Großen Kette, im Fall eines Individuums, vom Boden beginnend und sich nach oben hin arbeitend. Materie oder Form, aufgelöst in den Körper (oder in Gefühl, dann Wahrnehmung, dann Antriebe), und der Körper löst sich in den Geist auf, in den grobstofflichen Geist. Der grobstoffliche Geist löst sich dann in den subtilen Geist oder die Reiche der Seele auf, und dann kehrt die Seele zurück in die kausale oder spirituelle Essenz. An diesem Punkt wird jetzt der Prozess wieder zurückgedreht, abhängig vom Karma der Seele – von der Ansammlung von Tugend und Weisheit, die die Seele mit sich gebracht hat.
Deshalb ist die Bardo-Erfahrung in drei Basisbereiche oder Stufen eingeteilt, und diese Stufen sind schlichtweg die Bereiche des GEISTES, dann des Geistes, dann des Körpers und die Materie. Ihrer Tugend und Weisheit entsprechend wird die Seele entweder die höheren Dimensionen erkennen und in ihnen verbleiben, oder sie wird sie nicht erkennen – sie wird ihnen sogar entfliehen – und so wird sie so weit kommen, dass sie die Große Kette des Seins »hinunter« läuft, bis sie gezwungen ist, einen grobstofflichen Körper anzunehmen und demnach wiedergeboren wird.
Am Punkt des tatsächlichen oder endgültigen Todes – was wir die achte Stufe des gesamten Sterbeprozesses genannt haben – betritt die Seele oder der ewig unzerstörbare Tropfen den so genannten chikhai bardo, der nichts anderes ist als der GEIST selbst.
Stufen des Prozesses der Wiedergeburt
Die meisten Menschen können gemäß dem Tibetanischen Totenbuch diesen Zustand nicht als solchen erkennen. Mit christlichen Worten: Sie kennen Gott nicht, und daher wissen sie nicht, wenn Gott ihnen in das Gesicht starrt. Sie sind an diesem Punkt in der Tat eins mit Gott, gänzlich und total in der höchsten Identität mit der Gottheit. Solange sie jedoch diese Identität nicht erkennen, wenn sie nicht kontemplativ geschult sind, um diesen Zustand der göttlichen All-Einheit zu erkennen, werden sie sich von ihm abwenden, getrieben von ihren niederen Wünschen und karmischen Neigungen.
Auf diesem Weg verengt sich die Seele weg von der Gottheit, weg vom Kausalen. Es wird tatsächlich gesagt, dass die Seele wirklich danach strebt, von der Realisation der göttlichen Leere zu fliehen und sie »wird schwarz« sozusagen, bis sie im nächstmöglichen Bereich erwacht, der chonyid bardo genannt wird, die subtile Dimension. Diese Erfahrung ist geprägt durch alle Sorten von psychischen und subtilen Visionen, Visionen von Göttern und Göttinnen, alle begleitet von blendendem und fast schmerzlich strahlenden Lichtern und Illuminationen und Farben. Doch wiederum sind die meisten Menschen an einen solchen Zustand nicht gewöhnt.
Daher zieht sich die Seele wiederum nach innen zusammen und versucht, von diesen göttlichen Visionen wegzukommen, und sie erwacht im so genannten sidpa bardo, dem grobreflektierenden Bereich. Hier hat die Seele schließlich eine Vision ihrer zukünftigen Eltern.
Auf dieser Stufe ist die Seele als ein menschliches Wesen wiedergeboren.
Bardo – der Zwischenraum
Das tibetanische Totenbuch wird im Original als Bardo Thödol bezeichnet, was sich mit »Befreiung nach dem Tod durch andächtiges Zuhören« übersetzen lässt. Das Wort Bardo bezeichnet dabei den Zustand zwischen Tod und Wiedergeburt.
Die Befreiung bezieht sich auf den ewigen Kreislauf von Geburt und Tod, also die Wiedergeburt. Und das bringt letztlich nur gutes Karma zuwege. Grob gesagt, versteht man unter Karma das »Konto« auf einer höheren Ebene, in dem die guten und bösen Taten festgehalten sind. Gutes Karma muss auf der Erde erworben werden.
Zwar bezieht sich der Ausdruck »Bardo« auf den Zwischenraum zwischen Tod und Wiedergeburt, lässt sich aber in Wirklichkeit auf alle möglichen Perioden des Lebens übertragen, in denen man das Gefühl hat, dass man den festen Grund unter den Füssen verliert.
Die drei Stadien des Bardo
Im tibetanischen Original heißt das Totenbuch »Bardo Thödol«. Der Begriff »Bardo« bezeichnet dabei den Zustand vom Moment des Todes bis zur Wiedergeburt bzw. dem Eingehen ins Nirwana. Man unterteilt jedoch diesen Bardo-Zustand in drei Stufen: Chikhai-Bardo, Chönyid Bardo und Sidpa-Bardo.
Der erste, der sogenannte Chikhai-Bardo, ist der kürzeste. Es handelt sich um den Moment des Todes selbst.
Der Chikhai-Bardo ist speziell für spirituell besonders fortgeschrittene Menschen von Bedeutung: Sie erreichen das Nirwana bereits in diesem Moment. Sie haben sich bereits während ihres Lebens auf diesen entscheidenden Augenblick vorbereitet.
Die beiden anderen Bardo-Zustände dauern insgesamt neunundvierzig Tage, der Chönyid-Bardo vom ersten bis zum vierzehnten Tag, der Sidpa-Bardo vom fünfzehnten bis zu neunundvierzigsten.
Im Chönyid-Bardo steht der Verstorbene vom ersten bis zum siebten Tag verschiedenen wohlwollenden Gottheiten gegenüber, zwischen dem achten und dem vierzehnten Tag den sogenannten zornigen Gottheiten.
Im Sidpa-Bardo steht der Verstorbene dem Richter der Toten gegenüber. Vor seinen Augen tauchen Visionen des Ortes auf, in dem er wiedergeboren werden soll.
Im Chönyid-Bardo sind die Bedingungen für das Eingehen in das Nirwana noch relativ gut, danach verschlechtern sie sich immer mehr.
Die Chancen, aus der Welt der Wandlungen befreit zu werden, sind im Bardo äußerst günstig. Aus den gleichen Gründen hat die Art, wie die Bestattungsfeierlichkeiten durchgeführt werden, Einfluss auf den Geisteszustand des Verstorbenen.
Bardo aus der Sicht von C.G. Jung
Jung war zu der Überzeugung gekommen, dass die Prozesse, welche das Tibetanische Totenbuch schildert, in der menschlichen Seele stattfinden, dass die Nachtodwelt des Tibetanischen Totenbuches, der Bardo-Zustand, in Wirklichkeit das kollektive Unbewusste sei. Dieses kollektive Unbewusste ist, Jung zufolge, der Bereich der Seele, den jeder Mensch mit der gesamten Menschheit teilt, das Erbe von unzähligen Generationen von Menschen, die bereits auf der Erde lebten.
Meditation als Generalprobe für den Tod
Wo passt Meditation in all das hinein?
Jede Form der Meditation ist grundsätzlich ein Weg, um das Ego zu transzendieren oder dem Ego gegenüber zu sterben. In diesem Sinn ahmt Meditation den Tod nach – d.h. den Tod des Egos.
Kommt man schließlich zu einem Punkt, an dem man so ausgiebig den Geist und den Körper »bezeugt« hat, dass man tatsächlich sich über den Geist und den Körper erhebt oder sie transzendiert, und so ihnen und dem Ego gegenüber »stirbt«, und man erwacht als subtile Seele oder sogar GEIST. Und dies wird tatsächlich als Tod erlebt. Im Zen wird das der Große Tod genannt.
Aber Meditation kann auch eine Generalprobe des wirklichen körperlichen Todes sein. Der tatsächliche physische Tod ist dann keine große Überraschung und man kann viel leichter die Zwischenzustände des Bewusstseins nutzen, die nach dem Tod erscheinen – die Bardos –, um so erleuchtendes Verständnis zu erlangen.
Der Hauptpunkt solcher Meditationen ist, das Erkennen des GEISTES zu ermöglichen, so dass man beim Auflösen des Körpers, des Geistes und der Seele während des tatsächlichen Sterbeprozesses den GEIST erkennen wird, und man kann als solcher verweilen, anstatt vor ihm zu fliehen und wieder zurück in Samsara zu landen, zurück in der Illusion von getrennten Seele, Geist und Körper; oder man ist in der Lage, wenn man das Wiedereintreten in einen Körper wählt, es freiwillig zu tun – das heißt als ein Bodhisattva.
Die Erfahrungen des Sterbeprozesses mit Hilfe seines eigenen freien Willens
Diese spezielle Art von Praxis gibt einem auch die Fähigkeit, jeden Zustand zu verlängern, besonders die subtilen Zustände, wie etwa die weiße Erscheinung, die rote Zunahme, das schwarze Beinahe-Erreichen und das klare Licht, weil man sie schon mehr oder weniger beherrscht hat. Dann am tatsächlichen Endpunkt des Todes, was wir die achte Stufe genannt haben – wenn man den chikhai bardo betritt – kann man dort verweilen, wenn man es möchte. Jener Zustand des klaren Lichts ist sehr klar und offenbar und leicht zu erkennen, weil man ihn viele Male in der Meditation gesehen hat.
Wenn das Bewusstsein fortfährt, sich durch das Subtile und in das Kausale zu bewegen, beginnen sich diese Erfahrungen zu intensivieren, bis zu dem Punkt, dass sie zur reinen Formlosigkeit aufgelöst oder reduziert werden, zum kausalen Unmanifestierten, zu einer Leere vor aller Form, einer Stille vor allen Geräuschen, einem Abgrund vor allem Sein, einer Gottheit vor Gott.
Die Seele kehrt zum GEIST zurück und wird in formlose Unendlichkeit erlöst, zeitlose Ewigkeit, unmanifestierte Absorption, strahlende Leere. Das Bewusstsein verbleibt als der unbewegte Zeuge, der formlose Spiegelgeist, unparteiisch alles sich Erhebende betrachtend, ausgesprochen indifferent gegenüber dem Spiel seiner eigenen Muster.
Wohin gehen wir, wenn wir sterben?
Deepak Chopra beantwortet diese Frage in dem folgenden kurzen Video.
Das Bewusstsein stirbt nicht mit dem Körper
Der niederländische Kardiologe und Sterbeforscher Pim van Lommel veröffentlichte eine international viel beachtete Studie über klinisch tote, reanimierte Patienten, die Nahtoderfahrungen hatten.
Heute, nach vielen Jahren der Forschung, ist er sich sicher: „Der Tod ist nur das Ende unseres Körpers, nicht unseres Bewusstseins“.
Sehen Sie sich das Interview Video mit Pim van Lommel auf Youtube an und staunen Sie über seine Erkenntnisse:
Weiterführende Information finden Sie unter diesem Link